Einschulung am Sustenhorn
So schön das Wandern entlang plätschernder Bäche und grüner Wiesen auch ist – noch schöner ist es, wenn ein echter Gipfel das Ziel ist. Der beeindruckende Ausblick, das Gefühl etwas Großes erreicht zu haben und die Mischung aus Freude, Erschöpfung und Erleichterung, dass die Strapazen des Aufstiegs vorbei sind…
Nun gibt es aber Gipfel, für die es mehr bedarf als Kondition und festes Schuhwerk. Es reicht auch nicht aus, sich auf die Kenntnisse eines Bergführers zu verlassen und völlig unbedarft hinterher zu kraxeln. Wer Interesse an hochalpinen Touren hat, sollte wissen was einen erwartet (Tourenplanung), was man dafür benötigt, wie man das Material anwendet und wie sich Risiken & Gefahren am Berg minimieren lassen. Bleibt die Frage, wie und wo man an all dieses Wissen erlangt!? Na in der Bergschule natürlich 😉
BACK TO SCHOOL
Im flachen Berlin gibt es zwar einige Kletterhallen und sogar eine eigene Sektion des Deutschen Alpenvereins, doch eine waschechte Bergschule sucht man hier vergebens. Wir starteten also durch Richtung Schweizer Alpen, um vor Ort die Mammut Alpine School zu besuchen, entstanden aus der Bergschule Uri, die vor über 30 Jahren von Bergführer und Extremalpinist Alex Clapasson gegründet wurde. Nach jahrelanger enger Zusammenarbeit mit der Marke Mammut stieg das Unternehmen im Sommer 2015 endgültig in die Geschäftstätigkeiten ein und baut seitdem das Angebot kontinuierlich weiter aus – von Wandern über Klettern, Eisklettern, Bergsteigen bis hin zum Skitouring und und und. Schmunzelnd muss ich an unseren letzten Besuch einer Schule zurückdemken. Vor einigen Jahren versuchten Katharina und ich unsere Spanisch Kenntnisse in einem wöchentlichen Abendkurs in der VHS aufzufrischen – wir sind kläglich gescheitert. Nun steht erneut Lernen an. »Hochtouren für Einsteiger« steht auf dem Stundenplan. Hoffen wir mal, dass wir bestehen…
Der Lehrer + die Schüler
Wir treffen unsere “Mitschüler” am Alpine Center Steingletscher am Sustenpass. Neben dem Team Out Of Office stehen vier weitere lernwillige Berg(ein)steiger in den Startlöchern und beladen Ihre Rücksäcke mit dem nötigen Equipment. Lehrmeister Erich verteilt Klettergurte, Steigeisen, Eispickel und Seile, dann fahren wir noch einige Meter zu einem Wanderparkplatz, von wo aus es in zwei Etappen auf das Sustenhorn gehen soll. Etappe 1 zur Tierberglihütte (Gehzeit: 3 Stunden, Aufstieg: 900 Höhenmeter) und Etappe 2 zum Gipfel und zurück (Gehzeit: 7 Stunden, Aufstieg: 700 Höhenmeter, Abstieg: 1600 Höhenmeter). Beladen mit dem Material für die nächstem Tage sehen wir zumindest aus wie Profis – na ja, fast. Ein letzter Blick hinauf zum Berg, Rucksack geschultert und Schuhe geschnürt, dann geht es los im Wanderschritt Richtung Gletscher. Die erste Stunde ist eingeläutet…
Lektion 1 – Umgang mit Steigeisen
Vorbei an Gebirgsblumen, kleinen Schmelzwasser Rinnsalen und unzähligen Steinmännlein, erreichen wir nach einer kurzen Weile ein Felsplateau am Fuße des Gletschers. Vor uns liegt ein Schneefeld, dahinter eine riesige Eisfläche und oberhalb der beeindruckende Gletscherbruch. Das ist ein Klassenzimmer nach meinem Geschmack! Der Unterricht beginnt mit dem Anlegen der Steigeisen. Zugegeben, die zwölf Stahl-Zacken sehen schon recht bedrohlich aus. Über eine Schiene in der Mitte der Steigeisen passen wir die Größe an, dann werden die Monster-Stollen noch über eine vordere und eine hintere Lasche mit dem Gurt fixiert. Das war’s. Alles easy. Wir stapfen einige Meter durch den Schnee, dann geht es aufs Eis. Der Grip ist genial. Man muss nur kräftig genug auftreten.
Lektion 2 – kleine Knotenkunde
Ohne Kenntnisse der Grundknoten lebt es sich gefährlich in den Bergen. Ob man seinen Seilpartner oder sich selbst sichert, für alle Gelegenheiten gibt es Knoten, die man beherrschen sollte. Sackstich, gesteckter Achter- und Klemmknoten, … »äh Erich. Wie war das noch gleich?«? Knotenkunde war beim Segeln schon nicht meine Stärke, jetzt muss ich das schon wieder lernen. Und unser Lehrer ist wirklich penibel. Ein echter Knoten-Ästhet. Alles, was nicht lupenrein ausschaut, wird gleich wieder geöffnet und neu justiert. Wir lachen über unsere Unfähigkeit, kontrollieren uns gegenseitig und kommen schlussendlich an den Punkt, dass unsere Seilschaft aufbrechen kann. Oder auch nicht, denn vorher üben wir noch ein wenig mit dem Eispickel.
Dann ist es endlich soweit. Wir stapfen los – immer dem Eisbruch entgegen. Der Ausblick zu beiden Seiten ist überwältigend. Bei der Größe der Fels- und Eisbrocken wird uns sehr schnell bewusst, dass wir Menschen in den Bergen eine ganz kleine Rolle spielen und nicht wir es sind, die bestimmen, wo es lang geht… Sondern einzig und allein der Berg!
Die Eiswand ist definitiv steiler als unser Übungsplateau. Erich haut kleine Kerben mit der Axt ins Eis. So richtig entspannt stapfen wir trotzdem nicht hinauf. Unter der Schneedecke sieht ein Berg ja immer recht friedlich aus. Sobald das pure, kalte Gletschereis zum Vorschein kommt, habe ich ordentlich Respekt. Apropos Schnee: Uns kommen tatsächlich noch Skifahrer entgegen. Das Sustenhorn ist scheinbar ein Skitouring Paradies. Die besten Bedingungen findet man allerdings von März bis Mai – und nicht unbedngt im Juli.
Große Pause auf der Tierberghütte
Nach weiteren 1,5 Stunden in der Seilschaft erreichen wir unser heutiges Etappenziel. Wir stehen vor der Tierberghütte, ein urig gemütliches SAC Refugio mit ultramodernem Anbau. Auf 2.795 Meter hat man ein traumhaftes Panorama. Ein würdiger Abschluss für diesen ersten, alpinen Schultag
Während im nahegelegenen Eisfeld die Bergsteiger noch Trainingseinheiten absolvieren mache ich es mir bequem. Katharina erklärt mich zwar kurz für verrückt, dass ich meine neue Hängematte mit auf den Berg geschleppt habe, doch die paar zusätzlichen Gramm trage ich gern für diesen Moment. Nach dem gemeinsamen Abendbrot bestaunen noch alle den Sonnenuntergang, dann heiß es »rasch ins Bett“, denn morgen startet der Unterricht pünktlich um 6:00 Uhr mit dem Aufbruch zum Gletscher. Sonntags morgens aufstehen um fünf – um die Uhrzeit kommt man in Berlin doch eigentlich erst vom Feiern nach Hause…
Tag 2 – aufgestanden, aufgestiegen…
Mit leichtem Gepäck (alles Überflüssige bleibt auf der Hütte) startet unsere Seilschaft pünktlich um sechs in Richtung Gipfel. Stirnlampen benötigen wir nicht, da die ersten Sonnenstrahlen uns bereits ins Gesicht scheinen. Es sind perfekte Bedingungen für den Aufstieg – nicht zu kalt, kein starker Wind und Wolken sind auch nicht zu sehen. Vom ersten Schritt an müssen wir das am Vortag Erlernte anwenden. Wir halten die vereinbarte Distanz und steigen Step by Step Richtung Sustenlimi und weiter bis zum Gipfelgrat. Beim Sprung über die Gletscherspalten sind wir dennoch recht froh Erich dabei zu haben.
Die letzten Höhenmeter geht es noch einmal steil bergauf, dann erreichen wir nach knapp vier Stunden Aufstieg das Gipfelkreuz des Sustenhorns auf 3.502 Meter. Wow, was für ein Panorama. Wir sind höher als die Bergbahn des benachbarten Skigebiets Engelberg-Titlis und in der Ferne sehen wir sogar das Matterhorn. Der Aufstieg hat sich wirklich gelohnt und war weniger anstrengend, als erwartet. Allen steht ein breites Lächeln im Gesicht. Wir sind stolz, glücklich und fasziniert von der Schönheit dieses Ausblicks. Der Eintrag ins Gipfelbuch darf natürlich nicht fehlen, bevor wir uns nach kurzer Rast auch gleich wieder hinab begeben müssen. Allen beteiligten ist in diesem Moment klar – das war nicht der letzte Summit!
Unser Zeugnis
Erschöpft, glücklich und unversehrt kehren wir ins Tal zurück. Unser aller Fazit: Was für ein tolles Wochenende! Ein absoluter Einser-Trip und wirklich empfehlenswert, auch für alle, die vielleicht schon erfahrener am Berg unterwegs sind. Rookies wie wir sollten in jedem Fall beim ersten hochalpinen Aufstieg ein paar Lehrstunden nehmen. Auf der Website der Mammut Alpine School gibt es beispielsweise diverse Touren und Termine, so dass jeder etwas Passendes finden sollte. Und auch in Sachen Gepäck will ich euch noch zwei Ratschläge mitgeben:
1. Weniger ist mehr
Jedes Gramm zählt. Überlegt euch gut, was ihr wirklich benötigt, sonst wird der Trip schnell zur Qual. Zu jeder Alpine School Tour gibt es in den Reiseunterlagen Hinweise, was auf keinen Fall fehlen sollte. Wenn ihr das berücksichtigt, seid ihr gut aufgestellt.
2. Die Mammut Packlisten App
Ich nutze diese kostenlose App seid ca. drei Jahren. Man kann fertige Listen für die unterschiedlichsten Trips laden und diese dann individuell bearbeiten oder eigene Packlisten erstellen und mit anderen Mitreisenden teilen. Hier erfahrt ihr mehr zur Packliste App und weiteren praktischen digitalen Helferlein.
Wir bedanken uns bei Mammut für den Unterricht der besonderen Art. Der Artikel beruht auf einer Einladung, spiegelt jedoch uneingeschränkt die Eindrücke und Meinung des Autors wieder. Mehr Informationen unter: www.alpineschool.mammut.ch/
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