Abenteuer Almleben – vom Reichtum der Entbehrung
Als wir nach draußen auf die Terrasse der Rableid Alm treten ist die Sonne bereits hinter der mächtigen Silhouette der umliegenden Berge verschwunden. Ehrfürchtig schauen wir auf die Texelgruppe und hinauf zum Eisjöchl Pass…
So erleben wir unseren ersten Abend in den Südtiroler Alpen. Herrlich. Völlig anders als ein Feierabend auf dem heimischen Balkon. Das Tal um uns herum ist erfüllt vom Plätschern des Wildbachs und dem kontinuierlichen Läuten der Kuhglocken. Wir sind berauscht vom großen Glück an diesem Ort zu sein, weit weg vom hektischen Berlin. Obwohl die einsame Bergwelt Südtirols geprägt ist von einer sehr einfachen Art des Lebens, von Verzicht und der Reduktion auf das Wesentliche, fühlen wir uns in diesem Moment reich. Stille und Natur im Überfluss – was wollen wir mehr?
Atemlos durch die Nacht
Wohlig gefüllt (zum Abendbrot gab es selbstgemachten Bergkäse mit frisch gebackenen Vinschgauern) suchen wir noch einmal den benachbarten Kuhstall auf. Richtig gehört, den Kuhstall! Gastgeberin Heidi hatte uns eingeladen, bei der Käseproduktion zuzuschauen. „Das seht ihr Städter ja wahrscheinlich nicht jeden Tag…“ Stimmt! Wir folgen der Einladung natürlich gerne und machen uns neugierig auf den Weg, als plötzlich die musikalische Hölle losbricht. Schlagermusik dröhnt lautstark aus zwei Boxen, die notdürftig befestigt am Scheunenfenster baumeln. Schallt da gerade wirklich Helene Fischer durch das gesamte Pfossental? Ungläubig blicken wir uns an.
Auch wenn wir das musikalische Spektakel erst einmal nicht verstehen, Heidis Kühe wissen anscheinend sehr genau, was es damit auf sich hat. Eine nach der anderen kommen sie von der Weide geeilt und trotten dann gemächlich der Musik folgend in den Stall. Es ist Zeit zum Melken, Zeit für frisches Heu. Wir lernen, dass die Musik beruhigend und entspannend auf die Tiere wirkt und das Melken erleichtert – dabei funktionieren deutsche Schlager anscheinend besser als karibische Reggae Beats… So, so…
Was folgt, ist eine aufwendige Prozedur. Die Kühe werden gestreichelt, gesäubert und eine nach der anderen an die Melkanlage angeschlossen. Gemächlich kauend lassen die Tiere alles über sich ergehen. Wir Städter hingegen stehen aufgeregt und zappelig daneben, saugen begierig die vielen neuen Eindrücke in uns auf.
Nach einer guten Stunde überlassen wir die Kühe ihrer Nachtruhe, für die Almbauern jedoch ist noch lange nicht Schluss. Melkmaschine reinigen, Milch umfüllen, Käse machen… Wir fallen völlig erschöpft ins Bett. Und sind nun noch reicher – um eine weitere Erfahrung! Ein ganz normaler Abend auf der Alm. Ein riesen Abenteuer für uns!
Zicklein über Zicklein
Schon am nächsten Tag wartet eine weitere unerwartete Begegnung auf uns. Bei der Ankunft an der Lazinser Alm sind es unzählige Ziegen, die uns überraschen. Erwartungsvoll starren sie in unsere Richtung. Dabei geht es den Tieren aber natürlich nicht wirklich um uns, sondern vielmehr, wie könnte es anders sein, um etwas Essbares. Es ist Zeit für die tägliche Fütterung. Als der Alm Hirt mit den Futtereimern endlich um die Ecke kommt, gibt es kein Halten mehr: Nebeneinander, übereinander, kopfstoßend und sich gegenseitig wegdrängend wird der Futtertrog zum Kampfschauplatz. Was für ein Spektakel. Und die Städter staunen mal wieder! So einfach kann man Ziegen glücklich machen. Und auch uns, einfach nur, weil wir diesem Moment beiwohnen dürfen.
Einfach, einsam, eindringlich…
Gastwirtin Rosina von der Hofschenke Alpenland, unserer Herberge mit bestem Ausblick ins Passeier Tal am dritten Tag unserer Wanderung entlang des Meraner Höhenwegs, besitzt ebenfalls Ziegen – und Hühner. Sie lebt vollkommen allein auf ihrem Hof und freut sich über jeden Gast, den sie liebevoll bewirten und mit dem ein oder anderen hausgemachten Schnapserl glücklich machen kann. „Was wollt ihr heute Abend essen? Wie wäre es mit Brennnesselknödeln – oder Käsemakkaroni? Henryk, willst du Fleisch? Ich hätte Ziege da…“ Nach der herzerwärmenden, tierischen Begegnung des Vortages entscheide ich mich dann lieber für die vegetarische Variante. Fasziniert lauschen wir beim Abendbrot Rosinas Erzählungen vom Leben am Berg, Geschichten über das einfache, nahezu autarke Leben auf den Almen. Wir erfahren, wie ihre kleine Lastengondel früher noch ohne Motor betrieben wurde und wie sehr sich die Wirtin immer auf den Besuch ihrer Kinder und Enkelkinder am Wochenende freut. Wir lernen auch, wann die beste Zeit für das Ansetzen von Zirbenschnaps ist – und das wahrer Reichtum nicht im Besitz liegen muss…
Das Leben auf den Berghöfen von Südtirol ist kein Wochenend-Urlaub. Es ist auch kein Abenteuer, in das man mal ein paar Stunden eintauchen kann. Das wahre Leben auf den Almen mit nicht enden wollender harter, körperliche Arbeit, ein Leben voller Verzicht und in Einsamkeit ist für uns nur sehr schwer vorstellbar. Ich will ehrlich sein, wirklich tauschen wollen würde ich wohl eher nicht. Aber das, was ich mitnehmen durfte aus dem Meraner Land, jede einzelne Begegnung und neue Erfahrung, sie haben mein Leben bereichert. Zurück in Berlin bin ich schnell wieder gestresst vom hektisch-aggressiven Straßenverkehr und der Schnelligkeit der Stadt. Ich merke, dass ich Rosina und Heidi und all die anderen Bergbauern ein wenig beneide. Die Berge, die Stille, das Bimmeln der Kuhglocken, die frische Luft – das alles fehlt mir. Diesen Reichtum kann kein Geld der Welt aufwiegen…
Wann geht es wieder los? Wann sind wir wieder Out Of Office?
Diese Gedanken resultiren aus einem Besuch im Meraner Land, den wir im Rahmen einer Kooperation mit dem Tourismusverband Meraner Land realisieren durften. Der Artikel spiegelt uneingeschränkt die Meinung und Eindrücke des Autors wieder.
OnYourPath
schrieb amNa sieh mal einer an, das ist ja meine „Heimat“ 😉 Jedenfalls für einige Monate im Jahr, ansonsten bin ich das restliche Jahr auf Reisen. LG aus Thailand, Armin
Katharina
schrieb amHi Armin, wow – da sind wir jetzt ein wenig neidisch. Sowohl auf Südtirol als auch auf Thailand! Lass es dir gut gehen und genieße die weite Welt! LG, Katharina & Henryk