Berlin Bikepacking Vol. 2
Als mein Freund Martin schrieb „Wir können ruhig spät starten. Ich habe eine neue Lichtanlage am Rad. 2000 Lumen“, habe ich laut gelacht. Will er damit in Brandenburg Elche jagen? Nach unserem letzten Bikepacking Microadventure weiß ich jedoch, warum das Teil eine absolute Daseinsberechtigung hat.
Summer in the city
Kaum zurück von der Südtiroler Bergbriese, trifft uns der Berliner Sommer mit voller Wucht. Nicht nur tagsüber ist es so heiß, dass man am liebsten seinen Schreibtisch in die Kellerräume oder vor die geöffnete Kühlschranktür verlegen würde, auch abends kühlt die aufgeheizte Bude einfach nicht vernünftig ab. Wie auch, bei nächtlichen Tiefstwerten von über 20° Grad? Perfekte Bedingungen um mal wieder in der Hängematte am See zu übernachten.
Martin, der auch bei der letzten Bikepacking Session mit am Start war und sich keinen Radausflug entgehen lässt, ist gleich Feuer und Flamme, als ich ihn Frage, ob wir das erfrischende Abenteuer nach Feierabend wiederholen wollen. Dienstagnacht soll es wieder tropisch werden. Der Termin steht also schon mal. Martin setzt sich sogleich an die Route und tüftelt eine schöne Runde aus. „Ich habe so geplant, dass wir abends etwas länger radeln und morgens dafür schneller zurück in der Stadt sind.“ Mit kurz meint er 30 bis 40 und mit lang 60 bis70 Kilometer!
Wer nun findet, dass diese Distanzen ambitioniert sind, hat, wie ich heute weiß, nicht ganz unrecht. Zumal wir beide in unseren Jobs nicht um 16:00 Uhr den Hammer fallen lassen und somit wirklich erst nach Feierabend los kommen.
Es folgt eine Geschichte von Zweien, die auszogen, um eine Runde entspannt zu radeln, Bierchen am Lagerfeuer zu trinken und draußen übernachten wollten. In der Theorie!
17:00 Uhr
Das bepackte Rad steht zur Abfahrt bereit. Ich sitze jedoch noch am Schreibtisch und bereite den anstehenden Termin vor. Man könnte meinen, dass man um 18:00 Uhr auch keine Kunden mehr treffen muss, doch geht das in diesem Fall einfach nicht früher.
18:30 Uhr
SMS von Martin: „Ich bin schon fertig. Wie lang brauchst du noch?“
Ich: „Bin noch im Termin. Brauch noch 15 Minuten. Muss dann noch den Rechner ins Büro bringen, Rad tauschen und kann um 19:15 Uhr bei dir in Kreuzberg sein.“
Martin: „Dann fahr ich schon mal los und wir treffen wir uns bei mir im Garten. Muss noch final packen.“
19:15 Uhr
Natürlich bin ich jetzt erst zurück in meinem Büro. Aber was soll´s. Raus aus dem verschwitzen Hemd – es sind noch 34° Grad draußen – rein in das Bike Outfit und dann endlich auf zum See beziehungsweise auf zu Martin.
20:30 Uhr
Unfassbar, wir sitzen tatsächlich erst jetzt auf den Rädern. Den ursprünglichen Plan (bis nach Fürstenwalde und in einer nördlichen Schleife zurück) haben wir in Anbetracht der fortgeschrittenen Uhrzeit verworfen. Ziel ist es jetzt bis 22:00 Uhr in Rüdersdorf an der Tankstelle zu sein, sich dort mit isotonischen Kaltgetränken einzudecken und von dort nur noch wenige Kilometer zum Stienitzsee, unserem anvisierten Spot für die Nacht, zu rollen. Würstchen und Brötchen sind bereits im Gepäck.
45 Kilometer in eineinhalb Stunden sind prinzipiell machbar – und wir höchst motiviert. Auch die Bedingungen zum Radfahren sind zu diesem Zeitpunkt ziemlich perfekt. Auf den Straßen ist nicht viel los, dank Fahrtwind ist es angenehm kühl, Wälder und Wiesen sind in ein goldenes Licht der Abendsonne getaucht – und der hektische Alltag ist bereits jetzt komplett abgeschüttelt. Genau so hatte ich mir das vorgestellt.
Dank unserer Gravelbikes sind wir nicht nur auf asphaltierten Straßen sondern auch auf holprigen Waldwegen unterwegs. Das Tempo ist auf dem meist sandigen Untergrund jedoch langsamer. So verwundert es nicht, dass wir deutlich später als geplant (22:00 Uhr) an der Tanke ankommen. Um 22:15 Uhr hat diese dann bereits geschlossen! Verdammt, ein kalter Drink wäre jetzt schon gut. Wir versuchen unser Glück im Dorfzentrum und am Bahnhof – doch leider geht in Brandenburgs Dörfern um diese Zeit gar nichts mehr. Also radeln wir erst einmal weiter zum See, um die Stelle für die Nacht auszuloten.
22:45 Uhr
Wir sind am See. Und wir sind nicht allein. Neben einzelnen Nachtschwärmern, die den lauen Sommerabend genießen, sind vor allem Mücken unterwegs. Egal, die Badestelle schaut ganz gut aus, doch ohne Bier wollen wir jetzt noch nicht zum gemütlichen Teil übergehen. Also schauen wir auf unsere Smartphones und erklären die 8 Kilometer entfernte Schell Tankstelle in Petershagen zum nächsten Etappenziel.
23:30 Uhr
Ich bin mir sicher, der Begriff „Finsternis“ wurde in Brandenburg erfunden. Nachdem uns Google dank Internet- und GPS-Problemen im Kreis geleitet hatte, haben wir via Komoot den (vermeintlich) direktesten Weg, eine Mountainbike Strecke, gewählt und die ohnehin schon spärliche Zivilisation endgültig hinter uns gelassen. Der Akku meines Vorderlichts hat inzwischen den Geist aufgegeben. Ohne Martins Mega-Funzel wären wir jetzt wirklich am A… Gefühlt wird der „Radweg“ immer sandiger oder das Gras immer höher. Kaum verlassen wir Feld- und Wiesenwege folgt ein Waldstück, in dem kurz vor uns ein Hurrikane gewütet haben muss. Immer wieder wird die Fahrt unterbrochen, da nicht nur Stock und Stein, sondern umgefallene Bäume den Weg versperren. Tagsüber wäre die Strecke vielleicht interessant, nachts ist sie ziemlich abenteuerlich. Nach einer kurzen Abfahrt stehen wir plötzlich vor Treppen. Heute bleibt uns aber auch wirklich gar nichts erspart…
24:00 Uhr
Ich sehe Licht. Gelbes Licht. Selten habe ich mich so über die goldene Muschel am Horizont gefreut. Und die Tankstelle ist tatsächlich besetzt. OMG, tut das gut! Das erste Bier nehmen wir sofort, danach decken wir uns für den weiteren Abend ein. Sollte es aus irgendeinem Grund doch Probleme mit der Feuerstelle und dem damit einhergehenden Abendbrot geben, packen wir als Backup noch Schokoriegel und Chips ein. Sicher ist sicher.
1:15 Uhr
Klares. Kaltes. Wasser. Nach 70 Kilometern tauchen wir unsere staubigen, verschwitzen und zerstochenen Körper in den Stienitzsee. Endlich. Was für eine Wohltat. Vom umliegenden Ufer sehen wir nur das, was das Sternenlicht hergibt. Nicht viel, aber das ist uns jetzt auch ziemlich egal. Auch, dass wir um diese Uhrzeit weder ein Lagerfeuer am Start, noch die Hängematten in die Bäumen gehängt haben, stört nicht. Für den Moment sind wir glücklich.
2:30 Uhr
Gibt es etwas besseres, als am Stock gegrillte Salsiccia im Brötchen? Heute Nacht auf keinen Fall. Und zum Nachtisch dann ein Snickers.
3:45 Uhr
Es wird schon wider hell. Die Vögel zwitschern bereits, als wir ein kurzes Probeliegen in unseren Hängematten machen, uns dann aber noch einmal aufraffen um ein letztes „Feierabendbierchen“ zu trinken. Um 4:00 Uhr heißt es dann aber wirklich: Ohrenstöpsel rein und gute Nacht.
7:30 Uhr
Die Nacht war kurz, doch geschlafen habe ich wie ein Stein. Verstrahlt schaue ich mich um. Unser Nachtlager haben wir nicht direkt am See, sondern in einer nahe gelegenen Schutzhütte aufgeschlagen. Die seitlichen Stützbalken eigneten sich perfekt für die Aufhängung der diagonal gespannten Hängematten. Ein Tisch diente als Ablage für unsere Packsäcke und die Räder konnten wir auch in „Griffweite“ neben uns parken. Martin ist schon wach, schaut aber ähnlich zerknautscht aus wie ich. In aller Ruhe packen wir unsere sieben Sachen, putzen uns die Zähne und steuern nicht direkt die Stadt, sondern erst einmal den See zur Morgenwäsche an. Bei Tageslicht sieht das hier richtig idyllisch aus. Also rein in die Fluten.
9:30 Uhr
Ob es die kurze Nacht, die Kilometer vom Vortag, die unerträgliche Hitze oder doch das letzte Bier war – richtig spritzig fühlen wir uns heute morgen nicht auf den Rädern. Es sind glücklicherweise nur noch wenige Kilometer bis zur Berliner Stadtgrenze und die Aussicht auf einen Eiskaffe mobilisiert letzte Kräfte.
Zugegeben, unser Zeitmanagement war katastrophal und nachts durch Brandenburgs Wälder zu radeln ist auch nicht uneingeschränkt zu empfehlen – doch Spaß hat diese zweite Bikepacking Tour trotzdem gemacht. Wie schön wäre es, jetzt noch weitere Tage mit den Rädern zu reisen anstatt zurück ins Büro zu fahren…
Mein Fazit
Radfahren macht glücklich. Draußen schlafen auch. Genau wie vernünftiges Licht am Rad. Ohne Martins mega Strahler wären wir wirklich verloren gewesen. Beim nächsten Mal starten wir wohl besser vier Stunden früher, so dass um 22:00 Uhr tatsächlich Bratwurst, Bierchen, und Nachtlager bereit stehen – das zumindest nehmen wir uns fest vor. Denn: Es war mit Sicherheit nicht das letzte Microadventure dieser Art.