Der letzte Tag. 365 Tage danach.
Du wachst auf am Morgen und weißt, dass dies dein letzter Tag ist. Der Tag, an dem deine Reise endet, an dem der Flieger abhebt oder der Zug aus dem Bahnhof rollt. Das Datum auf dem Ticket in deiner Hand ist eindeutig: Heute! Ein letztes mal gilt es, alles um dich herum tief zu inhalieren, bevor du die Zelte endgültig abbrichst, das Land verlässt. Aufbruchsstimmung.
In den vergangenen 18 Monaten haben wir unendliche Male diesen Tag der Abreise erlebt. Natürlich ist ein Ende immer auch ein Anfang – beziehungsweise die Rückkehr zu etwas Vertrautem. Ab nach Hause. Aber mal ehrlich, vor allem ist dieser letzte Tag einfach nur doof. Du versuchst, alle Eindrücke noch einmal Revue passieren zu lassen und für immer zu konservieren. Die Geräusche, die Gerüche, die Gesichter, die Landschaften, die Welt um dich herum – du willst sie noch nicht verlassen. Das Gefühl des immerwährenden Glücks, in Flip Flops durch den Tag zu treiben, geweckt zu werden nicht vom Wecker, sondern nur vom Sonnenschein, morgens nicht wissen, wohin der Tag dich führen wird, die unendliche Freude am Entdecken. Selbstbestimmung. Freiheit. Reisen bedeutet nicht weniger als die ganze Welt – doch meist nur für eine begrenzte Zeit.
Kein Zurück?
Als wir im April 2014 im Flieger von Hawaii nach Neuseeland saßen, hatte ich beim Abschied Tränen in den Augen. Ausgerechnet Hawaii – das durch und durch touristische Klischee des perfekten Inselparadieses. Niemals hatte ich damit gerechnet, gerade hier mein Herz zu verlieren. Aber zwischen kauzigen Alt-Hippies, dem täglichen Regenbogen und dem Rauschen der Brandung berührte dieses Fleckchen Erde ganz unverhofft meine Seele.
Als unser Flug nicht weniger als 14 Stunden Verspätung hatte und wir eine weitere Nacht auf der Insel verbringen mussten, war ich froh, den Abschied noch etwas hinauszögern zu können. Wohl wissend, dass es nur eine kurze Schonfrist sein würde. Als wir schließlich doch im Flieger saßen, fragte ich Henryk leise: “Denkst du, wir werden in unserem Leben noch einmal hierher zurückkehren?” Er konnte mir darauf keine Antwort geben. Wir waren beide ganz still und hingen unseren Gedanken nach. Nie war das Gefühl des Verlustes stärker, als in diesem Moment.
Sag zum Abschied leise Servus
Ein paar Wochen später auf Bali durchlebten Henryk und ich erneut einen letzten Tag. Der letzte gemeinsame! Aus irgendeinem Grund, der mir rückblickend absolut nicht nachvollziehbar erscheint, hatten wir bei der Planung unserer Weltreise entschieden, dass es ja auch irgendwie lässig wäre, noch einmal getrennt voneinander unterwegs zu sein. Henryk blieb also in Indonesien, ich flog nach Nepal. Der Kloß im Hals war zentnerschwer beim Aufstehen am Morgen des letzten Tages. Und ich war auch noch die komplette Woche zuvor krank gewesen und hatte die meiste Zeit im Bett gelegen und geschlafen. Ich fühlte mich betrogen um die letzten gemeinsamen Tagen und die Möglichkeit, bewusst Abschied von etwas ganz großem, gemeinsamen zu nehmen.
Aber half alles nix. Das Ticket war gnadenlos und rief mich zum Flughafen. Damals hab ich mich nur elend gefühlt – heute denke ich, dieser Abschied war vielleicht das beste, was uns passieren konnte, denn an diesem Tag wurde zugleich das Saatkorn gesetzt für die Vorfreude auf das gemeinsame Wiedersehen. Und das würde nicht eher sein als am wirklich letzten Tag – vor dem Rückflug nach Deutschland.
Over and out!
Dieser wirklich finale, aller-allerletzte Tag hatte es dann entsprechend in sich. Ich hatte mir bei der Abschiedsfeier in Kathmandu am Vorabend den ein oder anderen Gin Tonic mit Eiswürfeln aus lokalem (nicht zum Verzehr geeigneten) Leitungswasser zu viel genehmigt und konnte mich am Morgen der Abreise vor Magenkrämpfen kaum bewegen. In diesen letzten Stunden hatte ich nur einen Gedanken: “Wie soll ich den vor mir liegenden 24-Stunden-Flug mit mehrstündigem Aufenthalt in Delhi überleben?” Ich hatte keine Idee. Henryk wiederum war bereits seit einigen Tagen in Delhi, hatte bereits die große Portion Indien zu spüren bekommen (um nicht zu sagen, die volle Overdose) und war nur noch froh, diesen Ort hinter sich zu lassen.
Wir fanden Stunden später am Flughafen tatsächlich irgendwie zueinander, meinem Magen ging es trotz 40 Grad Außentemperatur, 90 Prozent Luftfeuchtigkeit und Smog-Alarm langsam besser – und die Wiedersehensfreude war natürlich sowieso riesig. So viel erlebt, so viel gesehen, so viel zu erzählen… Und dann kam sie ganz plötzlich zurück. Die Gewissheit, dass dies nun wirklich DER Tag war. Gemeinsam, wiedervereint – am letzten Tag von etwas, dass auch in Zukunft weiterhin nur uns gehören würde. Unsere Reise.
Am 17. Juni 2014, genau heute vor einem Jahr, landete der Flieger LH 761 aus Delhi mit zwei erschöpften Weltenbummlern in Frankfurt. Wenig später ging es weiter nach Berlin, direkt hinein ins trubelige Public Viewing rund um die Fußball-WM. Das war’s also!? So profan es auch klingen mag. Der letzte Tag ist wirklich immer auch der Beginn von etwas Neuem. Er ist der erste Tag des Countdowns bis zur nächsten Abreise – in ein weiteres Abenteuer OUT OF OFFICE.