Die Färöer – jeder Tag ein neues Wunder
Ich schaue aus dem kleinen, ovalen Fenster in die Wolken, die Motoren röhren, die Maschine schlingert, ein Spielball des Windes. Unter uns nichts als der tiefblaue Nordatlantik. Wild, rau, stürmisch. Dann lichtet sich das Wolkenweiß um uns herum, der Flieger geht in den Sinkflug – eine weitere Böe schüttelt uns mit aller Kraft von rechts nach links. Und dann sehen wir Land unter uns.
Schwarze Felsen, überzogen von einer saftig-grünen Haut. Unwirklich, mystisch, geheimnisvoll begrüßen uns die 18 Färöer Inseln – Europas einsamer Außenposten im hohen Norden.
Es gibt viel, was es nicht gibt, auf den Färöer Inseln – manchmal macht es das Leben einfacher, manchmal ist es schlicht kurios und manchmal merkst du erst nach einer Weile, was es war, das dich die ganze Zeit irritiert hat: So gibt es zum Beispiel keine Bäume auf den Inseln. Es ist schlicht zu kalt und zu windig für eine üppige Vegetation. Damit geht einher, dass es auch so gut wie keine Insekten gibt, abgesehen von einigen sehr robusten Ameisen. Aber es gibt viel, viel Gras!
Zwei Radiosender stehen zur Auswahl, was jede Autofahrt zu einer echten Herausforderung macht – dafür gibt es auch nur drei Ampeln auf dem gesamten Archipel (und die stehen alle in der Hauptstadt Tórshavn). Überhaupt, Straßen – die gibt es natürlich und sie verbinden die bewohnten Hauptinseln mit einer guten Infrastruktur. Wenn man sich aber bewusst macht, dass überhaupt nur sieben Prozent der Inseln kultiviert und bewohnt werden, dann wird klar, dass es in Summe nur wenige Kilometer sind, die wir mit dem Mietwagen erkunden können. Nach drei Tagen sind wir beinahe alle Straßen einmal abgefahren. Es gibt übrigens lediglich eine Brücke über den Atlantik zwischen den Inseln, dafür umso mehr Tiefseetunnel. Aber wenn man mit dem Auto nicht weiterkommt, dann gibt es noch Fähren – oder man nimmt gleich den Helikopter, der auf den Färöern zum öffentlichen Nahverkehr gehört.
Trotz allem, die Färöer sind reich! Reich an unzähligen großen und kleinen Wundern. Mehr, als wir in den wenigen Tagen, die wir hier sein werden, entdecken können. Wir machen uns dennoch auf den Weg, zumindest einige Geheimnisse zu lüften und so viele wunderbare Eindrücke wie möglich zu sammeln.
Auf in den hohen Norden
Wir fahren gen Norden, über Klaksvík auf der Insel Borðoy bis nach Viðareiði, dem nördlichsten Ort der Färöer. Der erste Tunnel, den wir nehmen, ist noch aufregend, später werden wir uns daran gewöhnen. Tief unter das Meer führt er uns, der tonnenschwere Atlantik drückt auf die schmale Röhre in der Erde. Die Tunnel auf den Inseln sind karg, dunkel, nur mit dem nötigsten ausgestattet. Kein Licht, meist nur eine Fahrbahn und dafür alle zehn Meter eine Parkbucht zum Ausweichen. Das reicht vollkommen, denn seien wir mal ehrlich, viel Gegenverkehr gibt es hier ohnehin nicht.
Wir sind erleichtert, als wir das Licht am Ende des Tunnels sehen. Die Welt auf der anderen Seite hat sich verändert. Vor uns liegt auf einer Landenge, eingekesselt zwischen hohen Bergen, der kleine Ort Viðareiði im Nebel – oder sind es nur tiefhängende Wolken? Hoch über dem Dorf ragt das Kap Enniberg in den Himmel, dem mit über 750 Metern höchsten nahezu lotrechten Kliff der Welt. Die Wanderung bis zum Gipfel ist anspruchsvoll und man sollte sie nicht ohne lokalen Führer gehen. Die Wolken machen uns heute einen Strich durch die Rechnung. Bis zum Kap werden wir es nicht schaffen, aber auch so lohnt sich der fantastische Ausblick, wenn man den anstrengenden Weg bergauf ein paar Stunden entlang wandert…
Von Riesen und Trollen
Die Inseln der Färöer leben von ihren unzähligen Sagen und Legenden. Über Jahrtausende wurden sie weitergegeben – und nun stehen wir am Strand von Tjørnuvík im Westen der Hauptinsel Streymoy in dieser wunderschönen Bucht und blicken vor uns auf Risin und Kellingin, zwei Basaltfelsen die beinahe kerzengrade aus dem Meer ragen. Sie sind vielleicht die bekanntesten Sagengestalten im Nordatlantik – die Geschichte dahinter ist tragisch: Denn der große Bruder im Nordatlantik, Island, beauftragte den Riesen und sein Trollweib die einsam im Meer schwimmenden Färöer zu sich herüber zu ziehen. Doch die beiden merkten schnell, die Inseln waren nicht leicht zu bewegen. Sie zerrten und zogen, aber sie schafften es einfach nicht. In dem Augenblick, als sie sich auf den Rückweg begeben wollten, der Riese voran und hinter ihm seine Gefährtin, ging die Sonne auf und versteinerte beide. Hier stehen sie heute noch und blicken sehnsüchtig ihrer Heimat Island entgegen, ohne sie jemals mehr erreichen zu können.
In Tjørnuvík kann man aber nicht den Risin und Kellingin bestaunen, sondern beizeiten auf hartgesottene Surfer, die den perfekten Swell der Bucht nutzen für ein paar eiskalte Turns auf ihren Boards. Uns zieht es nicht in den Atlantik, sondern vielmehr in die Berge. Eine schöne rund fünfstündige Wanderung führt von Tjørnuvík über ein Hochplateau bis in die Bucht von Saksun. Aber Vorsicht, im Sommer brüten dort viele Seevögel – und die sind nicht immer gut auf einsame Wanderer zu sprechen…
Färöer Safari
Neben Riesen, Trollen und anderen Sagengestalten begegnen uns auf den Inseln vor allem eins: Schafe. Überall und immer. Am Straßenrand, im Dorf und auch auf einsamen, steilen und kaum begehbaren Klippen. Die eigentlichen Helden der Färöer sind allerdings andere drollige Tierchen: Papageientaucher oder im Englischen “Puffins“.
Das erste Mal begegnen wir ihnen bei einem Ausflug nach Gjógv auf der Insel Eysturoy. Gjógv bedeutet übersetzt Felsspalte – als wir in den Ort kommen, verstehen wir, woher der Name kommt. Eine riesige Erdspalte bildet eine Art natürlichen Hafen. In den steinigen Vorsprüngen nisten tausende Seevögel. Wir wandern oberhalb des Ortes auf einer Weide entlang der Küste. Immer mehr dieser kleinen Wesen tummeln sich auf den Felsen unter uns. Eine Mischung aus Papagei und Pinguin. Ich kann mich kaum satt sehen. Satt ist ein gutes Stichwort – denn tatsächlich werden die Vögel auf den Färöern auch gegessen. Kaum vorstellbar für uns… Aber sie sind eben anders, die Färinger.
Weiter südlich auf der Insel Vágar treffen wir auf eine andere Spezis, die uns nicht minder entzückt. Gásadalur, das “Gänsetal”, ist der vielleicht wunderlichste Ort der Färöer. Und bis vor kurzem war er auch der isolierteste in Europa. Erst seit 2004 gibt es einen Tunnel, der das Örtchen Bøur mit Gásadalur verbindet. Bis dahin konnte man nur mit dem Hubschrauber oder über einen alten Postweg nach rund drei Stunden Fußmarsch dorthin gelangen. Wir nehmen den Tunnel und folgen dem Rauschen des Wasserfalls Múlafossur. Unweit vom Wasser steht eine Herde Hochlandrinder im Nebel. Still und unbeweglich, nur ihre Münder mahlen unermüdlich das feuchte Gras in ihrem Maul. Das ist also das Wildlife der Färöer Inseln…
Ein See in den Wolken
Ein weiterer Tag auf den Färöern, ein weiteres Wunder. Und ein neues Abenteuer. Ein See, zwei Namen: Sørvágsvatn oder Leitisvatn – welcher der korrekte ist hängt von den Einheimischen und vom Standpunkt ab. Am westlichen Ufer nennen sie ihn Sørvágsvatn, am östlichen Leitisvatn. Oder auch einfach Vatnid. In jedem Fall ist der größte Binnensee der Färöer ein verzauberter Ort. Nebel umgibt uns, als wir durch das moorige Torfgebiet der “verborgenen Menschen” wandern. Die Legende besagt, dass einst ein Priester gebeten wurde, einen Hügel der Huldufolk zu besuchen – als er den Ort wieder verließ versiegelte der Priester ihn mit einem Fluch, der Hügel konnte nie wieder betreten werden, von drinnen hört man angeblich noch heute das Heulen und Klagen des eingeschlossenen Volks. Eine andere Sage berichtet von der schaurigen Nixe Nykur, die im Wasser lebt und in Gestalt eines schönen Pferdes an Land geht, um Ahnungslose – vornehmlich Kinder – anzulocken und mit ins Wasser zu ziehen.
Mit gemischten Gefühlen also laufen wir entlang des Seeufers in Richtung der Klippen. Möwen kreischen und kreisen über unseren Köpfen. Zwei Stunden stapfen wir durch Matsch und Dreck, immer auf der Hut vor angriffslustigen Vögeln – und vielleicht auch der ein oder anderen Sagengestalt. Und dann stehen wir von einem Moment auf dem anderen vor einem Abgrund. Der Weg entlang des Vatnid führt uns direkt auf eine steile Klippe, hunderte Meter unter uns braust der aufgewühlte Ozean. Neben uns stürzen tausende Liter Süßwasser aus dem See direkt in die tobende Gischt des Atlantiks. Gegen das Rauschen der Wassermassen müssen wir anschreien, um uns zu verständigen. Die Knie sind weich beim Blick in den Abgrund unter uns. Und der Nebel umhüllt uns mehr und mehr…
Ein Ritt auf den Wellen
Tagelang haben wir nun die Färöer Inseln durchwandert. Viele Male standen wir am Rand der Klippen und haben mit Ehrfurcht die Naturgewalt des Meeres bestaunt. Es ist Zeit, sich aufs Wasser zu wagen. Am letzten Tag auf den Inseln besteigen wir ein Boot in Vestmanna. Drei Stunden reiten wir auf den Wellen. Die kleine Nussschale, in der wir sitzen wird von den Kräften des Ozeans nach links und rechts geschleudert. Unser Kapitän: die ruhe selbst. Die veränderte Perspektive auf die Klippen und steilen Felswände ist atemberaubend. Standen wir oben noch mit dem Gefühl der absoluten Erhabenheit, wird uns hier unten bewusst, wie klein uns unbedeutend wir eigentlich sind. Das wahre Wunder der Färöer Inseln ist die Einzigartigkeit der Natur, die sich hier noch einmal mit all ihrer beeindruckenden Schönheit und Kraft offenbart.
Wir fliegen heim mit dem Gefühl, eine Lektion erteilt bekommen zu haben. Eine Lektion in Demut und Dankbarkeit. Fremd fühlen sich die Färöer an – und doch sind sie Teil von Europa. In den vergangenen Tagen sind sie uns vertrauter geworden. Sie sind scheu, aber sie wurden zutraulicher. Sie sind kalt und rau – und doch haben wir hier so viele warmherzige Menschen getroffen. Einsam sind sie… und wundervoll! Danke.
Hinweis: Dieser Artikel beruht auf einer Kooperation mit dem Tourismusverband der Färöer Inseln, er spiegelt jedoch die Meinung der Autorin uneingeschränkt wieder. Mehr Infos: www.visitfaroeislands.com
Steffi H.
schrieb amObwohl wir große Dänemark-Freunde sind, hatten wir diese Inseln überhaupt nicht auf dem Schirm und ich bin gerade total hin und weg – von Eurem Bericht, von den Perspektiven und diesem anscheinend großartigen Stückchen Erde. Danke für diese Inspiration – kommt definitiv auf die „Must-see-Liste“! Mange tak 🙂
Katharina
schrieb amLiebe Steffi, wirklich absolut empfehlenswert und auch gut kombinierbar mit Dänemark. Wenn man es nämlich etwas ruhiger angehen lassen will, kann man auch mit der Fähre auf die Färöer übersetzen (ich glaube, es sind rund 30 Stunden Fahrtzeit!)… Dänemark ist aber auch immer wieder eine Reise wert – dorthin reisen wir übrigens auch Anfang Oktober. Wenn du noch Tipps für Lolland und die anderen Ostsee-Inseln hast, immer her damit! Liebe Grüße, Katharina