Mindful Mountains – (m)ein Gletscherabenteuer
Einatmen, Ausatmen. Wahrnehmen. Ich spüre, ich höre… nichts. Nichts weiter als meinen dumpfen Herzschlag und das Knirschen und Knacken im Eis um mich herum. Es ist kalt. Ich bin allein. Tief unten in einer Gletscherspalte.
Dieses Abenteuer ist anders als alle, die ich bisher gemeistert habe. Es ist körperlich. Es ist anstrengend. Aber es ist vor allem ein Erlebnis, das mich zu mir selbst führt.
Dass Berge mich sehr glücklich machen, habe ich schon vor einer ganzen Weile herausgefunden. Auf den Gipfeln kann ich den Alltag hinter mir lassen, in Bewegung sein, meine Grenzen austesten. Das tut mir gut und gibt mir ein rundum positives Gefühl. Als zum Ende des Sommers dann eine Einladung mit dem Betreff „Mindful Mountains“ in meinen Postkasten flatterte, war ich entsprechend vom ersten Moment an angetan. An einem Wochenende sollten wir in einer kleinen Gruppe und in Begleitung einer Psychologin und eines erfahrenen Wanderführers die ein oder andere Bergtour unternehmen, verbunden mit Achtsamkeitstrainings und Reflektion der eigenen Resilienz. Meine Neugier war geweckt. Wie viel ich dabei tatsächlich über mich selbst lernen würde, ahnte ich zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht…
Ausgangsort für diese besondere Erfahrung war das Tiroler Pitztal. Das schmale Tal, das im Westen durch den steil abfallenden Kaunergrat und im Osten vom imposanten Geigenkamm umschlossen wird, kannte ich bereits aus einem Winter vor einigen Jahren. Bei diesem früheren Besuch hat die Umgebung einen durchaus nachhaltigen Eindruck hinterlassen: Ursprünglich, wild und rau ist das Pitztal mir in Erinnerung geblieben. Vielleicht liegt es an den beeindruckenden Gletschern, die das Panorama prägen, vielleicht aber auch schlichtweg daran, dass das lang gestreckte Tal, das nur durch eine einzige Straße erschlossen wird, die im Winter regelmäßig aufgrund von Lawinenabgängen gesperrt werden muss, im hinteren Teil irgendwann einfach in eine Sackgasse führt. Also die Straße, das Tal selbst schlängelt sich noch einige Kilometer weiter tief in die Bergwelt hinein. Bis es an einer Gletscherzunge endet. Man kommt nur zu Fuß weiter. Allein dadurch „erzwingt“ das Pitztal eine gewisse Entschleunigung. Auf Wiedersehen Rush Hour –ab da steht die Zeit still.
Zu dem besonderen Charme des Pitztals gehört auch, dass hier jede*r jede*n kennt – und die meisten sogar um drei Ecken miteinander verwandt sind.
So auch Psychologin Anna Maaß und Bergführer Philipp Eiter. Die beiden sind Cousin und Cousine und ein super Team. Nach einer ersten Begrüßung am Vorabend im Hotel erwarten die beiden uns freudestrahlend in aller Früh an der Bergstation des Rifflsee und erklären uns, dass wir eine durchaus anspruchsvolle Route zum Brandkogel auf 2.676 Meter vor uns haben. Bei strahlendem Sonnenschein und voller Kraft in den Beinen ist das eine super Aussicht. Der Weg führt uns auf einen Zustieg zum Cottbusser Höhenweg und ist als „schwarze Route“ gekennzeichnet, da es einige Kletterpassagen zu überwinden gilt. Voller Tatendrang folgen wir Anna und Philipp, den gebürtigen Pitztalern, in „ihre“ Berge.
Kleiner Schritt, große Überwindung
Die eigentliche Herausforderung wartet nicht auf dem Weg, sondern am Gipfel auf uns. Ein unscheinbarer Riss zieht sich durch das Gestein. Der Felsvorsprung, auf dem das Gipfelkreuz thront, wird deshalb zusätzlich Stahlseilen, die fest im Gestein verankert sind, gesichert. Der Kopf signalisiert sofort: Achtung, Achtung, Absturzgefahr. Verrückt, wie das gelernte Verhalten sofort einen gedanklichen und auch körperlichen Mechanismus in Gang setzt. Mein Knie werden weich, alles in mir sträubt sich dagegen, über die Kante zum Kreuz auf der anderen Seite zu springen. Der Schritt über den vermeintlichen Abgrund erscheint unmöglich. Vorsichtig blicke ich über den schmalen Spalt: Es geht nicht allzu tief hinunter. Aber nicht die Felsspalte selbst ist das „Problem“, sondern das Gefühl, dass das Gestein auf der anderen Seite durch diesen Riss jederzeit abbrechen könnte. Es ist paradox, denn die Sicherung ist offensichtlich und eigentlich kann gar nichts passieren. Eigentlich…
Das ist sie also, unsere erste Übung. Es geht um Mut. Darum, sich selbst zu ermutigen und damit auch zu befähigen, innere Blockaden zu überwinden. Aber es geht auch darum, was andere für uns tun, denn die Gruppe gibt uns Kraft, unterstützt uns und erzeugt damit Sicherheit. Die ganze Situation ist dabei gar nicht mal neu, derlei Momente habe ich auch in der Vergangenheit in den Bergen erlebt. Aber selten durchlebe ich sie so intensiv und bewusst, so reflektiert. Im Grunde geht es darum, die eigenen Denkmuster zu durchbrechen.
Am Ende ist es dann tatsächlich nur ein kleiner Schritt. Ich überwinde mich. Wir alle überwinden uns. Und von der anderen Seite, auf der Felskante stehend, die vermeintlich jederzeit in die Tiefe rauschen kann, sieht alles auf einmal ganz harmlos und sicher aus. Und ich genieße die traumhafte Aussicht auf den Geigenkamm.
Auf ein Wort…
Die anschließende Wanderung zurück ins Tal führt uns vorbei am Rifflsee und weiter bergab über einen beschaulichen Weidenweg. In einem Waldstück machen wir noch einmal Rast. Umgeben vom Grün der Bäume, gebettet auf Moos und Gras lassen wir den Moment am Gipfel noch einmal Revue passieren. Was hat das mit uns gemacht? Was hat es ausgelöst? Welche Gefühle hatten wir da oben am Gipfel? Was nehmen wir mit vom Berg und von dieser ersten bewussten Reflektion…
Dieser Moment unter Fremden, die ich keine 24 Stunden kenne, ist irgendwie sehr intim. Wir sind bereit uns zu öffnen, uns mitzuteilen und unsere Gedanken offen zu legen. Auch das erfordert Mut. Aber wir geben uns die dafür nötige Kraft und das ist eine sehr intensive Erfahrung.
Beim finalen Abstieg und auf den letzten Metern bis zum Hotel haben unsere Gespräche schließlich eine andere Qualität. Wir sprechen über die Familie, über Sorgen, über das, was uns bewegt. Wir sind uns nähergekommen als Gruppe. Und auch ich bin mir näher gekommen an diesem Tag.
Tag zwei erwartet uns mit ein paar zusätzlichen Höhenmetern. Auf 3.440 Metern starten wir bei frischem Kaffee und duftenden Croissants in Tirols höchst gelegenem Café. Dass das Café 3440 von Annas Vater betrieben wird, überrascht im Pitztal nicht wirklich. Und die Familie wächst weiter. Heute stößt noch ein weiterer Cousin von Anna und Philipp dazu. Mit Raphael Eiter haben wir nun auch einen hochalpinen Gletscherguide an unserer Seite, mit dem Henryk sogar auch schon mal auf Tourenski unterwegs war zu den Gipfeln des Pitztals. So ist das hier eben: man kennt sich…
Der Blick auf die über 50 (!) Dreitausender rund um die Gipfelstation ist leider an diesem Morgen durch Wolken und Nebenfelder etwas eingeschränkt. Aber trotzdem noch immer beeindruckend. Und irgendwie passt diese Stimmung auch zu unserer Mission. Heute geht es um Achtsamkeit und Resilienz, um die Fähigkeit, Stress oder auch Krisen durchzustehen. Es geht um Willensstärke, Kraft, Heilung und auch um Gelassenheit. Letzteres brauchen wir gleich zum Einstieg in die heutige Route. Der Gletschersteig in Richtung Taschachhaus hat es in jedem Fall schon auf den ersten Metern ordentlich in sich. Trittfestigkeit ein unbedingtes Muss.
Nach einigen steilen Metern bergab und vielen ziemlich beeindruckenden Ausblicken stehen wir am Fuße des Gletschers. Das ewige Eis erstreckt sich hunderte Meter vor uns und hat beängstigend viele tiefe Spalten. Wir ziehen unsere Grödeln an und Raphael erklärt uns, worauf wir achten müssen, wenn wir das Eisfeld betreten. Wir werden uns erst im unteren Drittel zu einer Seilschaft zusammenfinden, hier im oberen Teil sind die Spalten so offensichtlich und einfach zum Umlaufen, dass das Anseilen noch nicht nötig ist. Ich hatte schon einmal ein Gletschertraining, dennoch flößt dieser Urzeitriese mir ordentlich Respekt ein. Die ersten Meter laufe ich entsprechend zögerlich, doch nach und nach kommt das Vertrauen zurück und ich finde mein Tempo und beginne, die Eindrücke zu genießen. So imposant, so tief das Eis unter mir, so beständig.
Nach einer ganzen Weile machen wir halt und Raphael beginnt Haken ins Eis zu schlagen und Seile auszurollen. Es ist soweit, die nächste Herausforderung steht an. Und diese wird mich noch etwas mehr Überwindung kosten als die Felsspalte am Vortag. Wir werden uns einzeln abseilen in eine Gletscherspalte. Gehalten von der Gruppe, aber allein in der Tiefe auf uns gestellt.
Die größte Überwindung ist der Schritt über die Kante, rückwärts ins dunkle Nichts. Kaum habe ich die Kante geschafft und mich nach Hinten ins Seil fallen lassen, stellt sich ein Gefühl von Vertrauen und Sicherheit ein. Schritt für Schritt seile ich mich ab, Meter für Meter – bis ich schließlich auf einem Vorsprung, rund sechs Meter in der Tiefe zum Stehen komme. Vor mir eine Wand aus Eis, hinter mir eine Wand aus Eis und unter mir der weitere Abgrund. Es knirscht, ächzt und knackt von Zeit zu Zeit. Ich gehöre nicht hier her in diese Welt. Aber ich bin da. Es ist beinahe unwirklich. Dann ein Ruck im Seil und die Gruppe zieht mich wieder nach Oben, bis ich schließlich im Licht stehe.
Was bleibt..?
Den weiteren Weg setzen wir als Seilschaft fort bis zum Fuße des Gletschers und schließlich hinein ins Tal bis zum Taschachhaus, das über den steilen Hängen thront. Ich fühle mich, als würde ich aus einer anderen Welt kommen und mit jedem Meter zurück in die Gegenwart geschleudert. Meine Gedanken sind so präsent im Hier und Jetzt – als gäbe es nichts außer diese Berge und den Gletscher, der inzwischen hinter mir liegt. Jeden Atemzug und jeden einzelnen Schritt führe ich ganz bewusst aus. Ich fühle mich stark und unverwundbar und gleichzeitig auch wohlig erschöpft und müde. Dieser Wanderung war mehr als ein Ausflug in die Berge. Es war ein Ausflug in mein Bewusstsein. Und das ist ein wahnsinnig spannender Einblick gewesen.
Am Abend sitzen wir erneut zusammen und reflektieren unsere Eindrücke und Empfindungen, tauschen Gedanken aus darüber, was wir mitnehmen von diesem Wochenende. Viele neue Eindrücke haben wir wohl alle im Gepäck. Und ein paar Steine, die wir unterwegs gesammelt haben und die uns ab sofort an das Pitztal erinnern und alles Positive in unserem Alltag in unser Bewusstsein rücken sollen. Und das ist glücklicherweise eine ganze Menge.
Das Mindful Mountain Programm
Dieses Wochenende war nur ein sehr kurzer Einblick in das Angebot, das Anna Maaß und Philipp Eiter interessierten Gästen des Pitztals machen. Regulär geht der „Mindful Mountains“-Workshop über sechs Tage und beinhaltet weitere wunderbare Touren durch die Region sowie Trainings und Anregungen zur Reflektion. Zudem werden weitere Wochenend-Sessions angeboten, die kurze, aber intensive Abwechslung versprechen.
Bei Interesse könnt ihr HIER alle Termine für die kommende Saison sowie weitere Details zum Programm und den Kosten nachlesen.
Ich bedanke mich herzlich bei Anna, Philipp und Raphael für diesen spannenden Ausflug ins Pitztal und zu mir selbst. Und bei Monika Neiheisser für einige zusätzliche Fotos in diesem Beitrag – und die inspirierenden Gespräche unterwegs. Dieser Beitrag beruht auf einer Einladung zu einer Pressereise, spiegelt jedoch uneingeschränkt meine persönlichen Eindrücke wieder.