Brücken nach Sankt Petersburg – Russland für Einsteiger
Sankt Petersburg empfiehlt sich für Russlandeinsteiger aus drei Gründen. Erstens ist die Stadt recht europäisch geprägt. Zweitens kommt man hier ganz gut mit Englisch durch. Und drittens gibt es für jeden Geschmack jede Menge zu entdecken.
Seit Jahren liegen wir unserem lieben Freund Jan in den Ohren, er möge doch mal wieder einen Gastbeitrag schreiben. Das hat er nun endlich getan! Jan reist nämlich nicht nur gerne nach Island, von wo er zuletzt berichtet hat, sondern auch regelmäßig nach Russland. Also begeben wir uns heute – mit Jan und seinem Reisegefährten Matthias – in das „Venedig des Nordens“. Auf nach Sankt Petersburg…
Bitte nicht lächeln
Sankt Petersburg, liebevoll Piter genannt, begrüßt uns nach der Landung am Flughafen Pulkovo I alles andere als liebevoll. Nach dem kurzen Fußweg von der Aeroflot-Maschine zum Terminal sind wir bereits patschnass. Leider nicht zum letzten Mal in den kommenden 48 Stunden. Umso erfreulicher ist der Umstand, dass bei der Einreisekontrolle die Warteschlangen der visumspflichtigen Besucher überraschend kurz sind. So bleibt mir nur wenig Zeit, Matthias eine meiner verinnerlichten Verhaltensregeln zuzuflüstern: „Uniformierte nie anlächeln.“ Denn Lachen oder Lächeln gegenüber fremden Personen wird in Russland oft als unehrlich und falsch verstanden. So jedenfalls einer der Glaubenssätze, der mir vor vielen Jahren in einem interkulturellen Seminar über Russland eingetrichtert wurde. Leider wurde mir damals nicht gesagt, wie ich reagieren soll, wenn ich widerum von einer Uniform angelächelt werde. Und so bin ich leicht verwirrt und nervös, als die junge, zurechtgemachte Grenzbeamtin lächelnd immer wieder von meinem Passbild zu mir und zurück aufs Foto blickt. Insgesamt funktioniert die Einreise mit Visum aber glücklicherweise schnell und problemlos. Ob das deutsche Managementsystem des Flughafens, der seit 2010 zur Frankfurter Fraport AG gehört, damit zu tun hat?
Potemkins Schein und Sein
Auch als wir unter der Terminalüberdachung auf unser bestelltes Taxi warten, peitscht der Wind uns den Regen ins Gesicht. Zumal das Taxisuchspiel in dem feuchten Gewusel eine echte Herausforderung ist – obwohl der Operator uns Marke, Farbe und Kennzeichen des Wagens genannt hat. Da hier allerdings ziemliche viele weiße Toyota Corollas auf Fahrgäste warten, bleibt zur Identifizierung nur das kyrillische Nummernschild.
Die Fahrt vom Flughafen führt uns schließlich vorbei an unzähligen Werbetafeln, Malls, Trabantensiedlungen und kaputten Lastwagen, bis dann ab dem Pobedy Platz die Fassaden am Moskovsky Prospekt ansehnlicher und historischer werden. Nach einer guten halben Stunde erreichen wir unser Appartement, das direkt am Fontanka Kanal liegt. Die Straßenfront des Komplexes, in dem auch die Mayakovskogo Bibliothek untergebracht ist, wirkt sauber und gepflegt. Doch spätestens im Innenhof wird klar, dass es ein russischer Feldmarschall war, der angeblich die Potemkinschen Dörfer erfunden hat: Hier ist vieles ziemlich abgerockt und nicht wirklich gut in Schuss. Angesichts mehrerer schwer gesicherter Eingangstüren bis zum Appartement fällt mir ein weiterer Glaubenssatz aus meinem Seminar wieder ein: „Wer ohne Angst nach Russland kommt, ist ein Idiot.“ Was ich jedoch gerne ergänze durch ein Erich-Kästner-Zitat: „Wenn einer keine Angst hat, hat er keine Fantasie!“
Haben Sie reserviert?
Die Lage unserer Herberge ist super zentral. Um die eine Ecke liegt der Newski Prospekt, die Petersburger Prachtstraße, liebevoll Newski genannt. Um eine andere befindet sich die Fressmeile entlang der Rubinstein Uliza. Achtung, wichtiger Hinweis: Tische in Petersburger Restaurants immer vorbestellen! Sonst findet man nur mit viel Glück einen Platz. Und auch den nur begrenzt. So haben wir zum Verzehr von fantastischem Brisket-Fleisch im Smoke BBQ nur von 19 bis 21 Uhr Zeit. Schon um 21.05 Uhr stehen die nächsten Reservierungsgäste an unserem Tisch. Draußen gießt es immer noch, wie aus Kübeln. Da sich auf der Fressmeile eine Gastronomie an die andere reiht, wollen wir einfach in das nächstbeste Lokal, um dort noch etwas zu trinken. Ganz schön naiv. Denn alle Restaurants, Bars und Pubs sind proppenvoll und ausgebucht. Ohne Reservierung keine Chance. Matthias und ich sehen uns schon bei Mc Donalds an der Ecke zum Newski Projekt einen Mc Sundae schlürfen, als eine unscheinbare Tür eines namenlosen Gebäudes aufgeht. Die Saigon Bar ist unsere Rettung. Leckere Cocktails zu moderaten Preisen, die akribisch von Bardame Alicia zubereitet werden. Dazu Rock, Independent und Grunge aus einer Youtube-Playlist, es tummeln sich eine bunte Mischung aus einer Geburtstagsgesellschaft, verliebten Paaren, Stammgästen – und zwei durchnässten Touris…
Achtung bei der Seitenwahl
Als nach sieben Stunden Dauerregen endlich mal Schluss ist, marschieren wir den Newski entlang. Pünktlich um Viertel nach Eins wollen wir, nein müssen wir, an der Palastbrücke sein. Denn dieses besondere Spektakel darf kein Piter-Besucher verpassen. So säumen Hunderte von Schaulustigen beide Ufer der Newa. Als sich um 01.25 Uhr die Brückenhälften in die Höhe recken, glitzert das Blitzlichtgewitter der zahlreichen Handys und Kamera im Wasser wie ein sanftes Feuerwerk. Die Brückenöffnungszeiten haben sich in den letzten Jahren übrigens stark reduziert, so dass man nur noch maximal zwei Stunden warten muss, falls man sich einmal auf der falschen Seite befindet und nicht nach Hause kommt. Ich werde nie vergessen, wie ich 2010 um 01.27 Uhr vor den offenen Brücken stand, weil ich zwei Minuten zu spät war. Bis 4.50 Uhr musste ich damals ausharren.
Herr Rossi sucht das Glück
Im Rossi’s Club nehmen wir in dieser Nacht einen letzten Absacker. Der liegt in gleichnamiger Architekt-Rossi-Straße. Und dieser italienische Signor Rossi, den ich bislang lediglich für eine Zeichentrickfigur hielt, hat maßgeblich Teile des Sankt Petersburger Stadtzentrums im Stil des Klassizismus gestaltet. So auch das Alexandrinski Theater.
Club und Karaoke-Bar im Kellergewölbe des Rossi’s sind zu. Nur die Bar hat geöffnet, in der eine strippende Pole-Dancerin heute die einzige Attraktion für die rund zwei Dutzend Nachtschwärmer ist. Der Zenit der Mainstream-Erotik-Unterhaltung, die noch vor einigen Jahren selbst in Provinz-Diskos herrschte, als Pole-Dancer, Go-Gos und Stripper renommierte, anerkannte und heiß begehrte Jobs waren, ist mittlerweile überschritten. Also nicht viel los – in Piter an diesem Dienstagabend.
Hoch hinaus
Juchu, der neue Tag startet… trocken! Also kein Museumsprogramm, auf das wir uns nach mittlerweile vier Mal nass eingestellt hatten. Nach einem guten und günstigen Frühstück mit Blini und Eiern im gerade neueröffneten Friends Place auf der Lomonosova Uliza geht’s es quasi schnurstracks abseits vom Newski in Richtung Isaak Kathedrale. Schon an anderer Stelle bei Out Ouf Office hatte ich berichtet, dass eine traditionelle Leidenschaft von Matthias und mir ist, auf einen Turm zu steigen und aus der Vogelperspektive die Umgebung zu genießen. Dafür hatten wir uns eigentlich das Lakhta Center ausgesucht. Aus organisatorischem Grund fällt das leider ins Wasser, aber dazu später mehr. So muss für unsere Turm-Tradition dieses Mal die Kuppel der Isaak Kathedrale herhalten. Und die ist WUN-DER-SCHÖN! Inmitten der Stadt ein Rundumblick auf Jahrhunderte von Geschichte, Architektur, Politik und Lifestyle. Ich werde wieder einmal ganz demütig bei der Gewissheit, dass ich selbst nach zehn Aufenthalten in dieser Stadt sie nie komplett erfassen und kennen werde. Es gibt einfach zu viel! Und durch den permanenten Wandel der letzten Jahre noch viel mehr davon!!
Russisches Marketing: Buchen Sie besser woanders!
Im Park vor der Isaak Kathedrale huldigen wir den Gründer der Stadt. Um das Reiterstandbild von Zar Peter dem Großen tummeln sich zwei Hochzeitsgesellschaften, acht asiatische Reisegruppen und viele russische Touristen. Mir fällt siedend heiß ein, dass ich dringend noch eine Reservierung fürs Abendessen machen muss. Ich rufe in einem meiner Lieblingslokale an. Es ergibt sich folgendes kurioses und für Russland nicht untypisches Reservierungstelefonat:
„Do you speak English?“ – „Inglish? Njet! Podozhdite!“
Es vergehen ungefähr drei Minuten.
„Hallo? … Hello! Do you speak English? – “A little bit.“
„Good. Do you have a table for two persons tonight at 7 p.m.?” – “Yes. But you better go other place.“
“Why? I like your place!” – “But today it will be loud and crazy.”
“What do you mean by ‘loud and crazy’?” – “But we have a party here. Loud and crazy.“
„No problem. We come for dinner anyway.“ – “But I warn you! Loud and crazy!“
Ich informiere Matthias, dass ich das Abendessen an einem lauten und verrückten Ort entgegen der Empfehlung erzwungen habe und wir ziehen weiter zum Winterpalast.
Katharinas Erbe
Der von Katharina der Großen gegründete Prunkbau beherbergt die weltberühmte Eremitage, die aus vier Teilen besteht, die quasi ineinander übergehen. Und von denen ich heute noch immer nicht sicher weiß, welcher welcher ist und wo wann welcher beginnt oder endet. Aber der Form halber gibt es die Alte Eremitage, die Kleine Eremitage, das Eremitage-Theater (Tipp: Hier wird das Ballett „Schwanensee“ auf enger Bühne durch Tanzstudenten aufgeführt zu horrenden Preisen – besser nicht besuchen! Stattdessen lieber etwas mehr Geld ausgeben für wirklich gutes Ballett im Mariinski Theater) und die Neue Eremitage. Für Kunstliebhaber das Pflichtprogramm schlechthin in Sankt Petersburg.
Ich war schon drei Mal in der Eremitage und mein Fotograf ist aufgrund des fehlenden Regens und der endlosen Warteschlangen auch nicht darauf erpicht, den Rest des Tages mit Warten zu verbringen, um dann durch die Kunsthallen geschoben zu werden. Also ziehen wir weiter. Auf zum Gostini Dwor, dem zweitgrößten Warenhaus in Russland! Das Shop-im-Shop-System ist vergleichbar mit dem Karstadt in Duisburg, aber um ein paar typische Souvenirs einzukaufen reicht es allemal…
Blick auf den Busen
Unterhalb des Peterburger Kaufhofs steigen wir in die Metro und fahren auf die Krestowski Insel. Hier war ich noch nie. Und konnte auch bislang nie hin. Denn die Insel war bis 2017 sozusagen „Sperrgebiet“. Dabei ist die Aussicht auf den finnischen Meeresbusen wahrlich beeindruckend.
Auf der einen Seite der Ostseeterminal, wo die Kreuzfahrtschiffe Schlange stehen, auf der anderen Seite reckt sich die neue Gazprom-Zentrale in die Höhe: das 462 Meter hohe Lakhta Center. Eigentlich sollte dieser aktuell höchste Wolkenkratzer Europas schon zur Fußball-WM eröffnet werden. Aber erst im Oktober 2018 erhielt das Gebäude die Betriebsgenehmigung. Offiziell wird die Aussichtsplattform in 370m Höhe erst im Laufe des Jahres 2019 zu besichtigen sein. Dazu passt das bekannte Zitat eines russischen Politikers: „Wir haben es versucht. Aber wir haben es nicht geschafft.“
Schuld hat nur der Kormoran
Auf der Krestowski Insel selbst gibt es soweit nichts zu sehen außer Sportstätten für Tennis, Polo, Segeln, Rudern und Doping *Scherz*. Und natürlich das Stadion. Letzteres ist der Grund, warum die Insel seit 2006 für die Öffentlichkeit kaum zugänglich war. Ich bin mir gar nicht sicher, wie dieser Bau denn nun offiziell wirklich heißt. Sankt-Petersburg-Stadion, Krestowski-Stadion, Zenit-Arena, Gazprom-Arena oder Piter-Arena? Einheimisch nennen es blumig den „Tempel der Verschwendung“, denn mit einer Milliarde Euro (oder sogar mehr) ist es nach Wembley das zweitteuerste Stadion der Welt – Wembley hat allerdings 22.000 Sitzplätze mehr. Ein lokaler Witz während der Bauzeit lautete übrigens so: „Der Vorarbeiter Ivan hat den Bautrupp gewechselt. Die Transfersumme wird auf 30 Millionen Euro geschätzt“. Auch wird gesagt, dass „es billiger gewesen wäre, das Stadion einfach aus Geld zu bauen“. Die absurdeste Geschichte als Grund für die unglaublichen Mehrkosten ist die vom Kormoran: Nach der Eröffnung 2017 regnete es an vielen Stellen durch das Dach, weil angeblich Kormorane mit ihren Schnäbeln Löcher reinhacken. So wurde das Stadion wie ein Flughafengelände gegen Vögel gesichert. Matthias und ich sind weder Fußball-Freaks noch Groundhopper, aber jetzt wollen wir doch wissen, wie es sich in diesem Milliarden-UFO bei einem Spiel anfühlt.
Unser Fazit ist ernüchternd: Gut, dass Wedau-Stadium in Duisburg kann nicht mithalten, aber uns fallen spontan fünf deutsche Stadien ein, die einen luxuriösen und stimmungsvolleren Charakter haben, als dieses durch Hubschrauber und Panzerwagen hoch gesicherte Fußballfeld. Der langweilige Grottenkick, den wir sehen, passt ins Bild: Das Spiel endet 1:0 durch ein Eigentor.
Schiff Ahoi
Der Abtransport von der Krestowski Insel läuft überraschend gut und zügig. So haben wir genug Zeit, uns in unserem Appartement zu duschen und umzuziehen. Die Taxifahrt zum ‚lauten und verrückten‘ Abendessen bestätigt mir einmal mehr, dass das Restaurant ein Geheimtipp sein muss: Der Fahrer hat keine Ahnung, wo genau sich das Restaurantschiff Fregat Blagodat befindet. Dabei handelt es sich um den Nachbau einer Fregatte, die sehr prominent neben der Troizki-Brücke unweit der Haseninsel ankert. Bei über einem halben Dutzend Besuchen habe ich hier noch nie einen Ausländer getroffen. Im Schiff selbst befinden sich zwei Restaurantebenen sowie ein Event-Dinner-Theater im Barock-Stil. Unser Tisch befindet sich im Upper Deck. Und die Vergraultaktik bei Reservierungsanfragen hatte wohl ihre Wirkung: Wir sind die einzigen Gästen auf dieser Etage! Unser Kellner heißt Vladislav und ist der einzige an Bord, der einigermaßen passables Englisch spricht (derselbe, auf den ich drei Minuten am Telefon warten musste). Die ‚loud & crazy‘ Party entpuppt sich als Geburtstagsfeier eines gutbetuchten Petersburger Unternehmers, der dafür das Middle Deck sowie ein Live-Musik-Duo gebucht hat. Wirklich laut wird es dabei nur einmal, als das Geburtstagskind sich über die Qualität des Bratens beschwert. Auch mich betrübt beim Menü, dass der vorzügliche Thunfisch in Salzkruste aus vergangenen Besuchen nicht mehr auf der Speisekarte steht. Und auch die Preise sind trotz niedrigem Rubelkurs gesalzen gestiegen, vor allem die der exportierten Weine, aber insgesamt ist das Kombüsenessen durchaus ein Erlebnis. Noch vor zwei Jahren wurde hier viel und herzhaft geraucht; bevorzugt Zigarren. Aber Petersburgs Gouverneur Georgi Sergejewitsch Poltawtschenko hat 2017 dem öffentlichen Tabakgenuss den Krieg angesagt und Rauchwaren aus allen Bars und Restaurants in seiner Stadt verbannt. Was ihn selbst allerdings zuletzt nicht davon abhielt, im Event-Theater auf der Fregat Blagodat genüsslich eine Zigarre zu rauchen. Natürlich eine absolute Ausnahme!
Honigfallen, blaue Austern und kaum Bier
Ich fasse zusammen: Shoppingmeile = Newski Prospekt, Fressmeile = Rubenstein Uliza, Sportmeile = Krestowski Insel, Kulturmeile = die ganze Innenstadt. Fehlt noch die Partymeile, zu der sich die Lomonosova Uliza gleich hinter dem Gostiny Dvor gemausert hat. Wo vor wenigen Jahren nur der Kultladen Lomonosov Bar existierte, reiht sich heute Club an Club. Vor Mitternacht ist an einem Mittwoch nicht viel los, weshalb Matthias und ich beschließen, einfach mal von Theke zu Theke zu wandern. Jedoch: Im Playground gibt es gar kein Bier, im Central Station gibt es nur warmes Bier, weil die Kühltruhe kaputt ist. Die Lomonosov Bar warnt vor Honigfallen („Geh nicht mit schönen, heißen Mädchen mit.“) und erst im Soulkitchen verweilen wir dann etwas am Tresen. Fast alle Clubs folgen dem gleichen Prinzip: unten Bar und Lounge, Treppe rauf, im ersten Stock Dancefloor mit Housemusik. So auch das Soulkitchen, wo ebenfalls House statt Soul läuft. Aber hier ist das DJ-Pult ein Konzertflügel in der Mitte des Raums, was wir sehr pfiffig finden. Wieder auf der Straße spricht uns eine große, adrette Frau an. Sie heißt Tatiana und braucht noch zwei Männer für ihren Clubbesuch. ‚Oha, Honigfalle‘ schrillen die Alarmglocken in unseren Köpfen, doch ihr Anliegen ist verrückt und bizarr zugleich: Um als Frau im homophoben Russland in den Gay-Club Golubaya Ustritsа zu gelangen, muss Frau drei männliche Begleiter vorweisen. Und Tatiana hat nur ihren schwulen Mitbewohner Dima dabei. Das ist so schräg, dass die Neugier unsere Angst überwindet – wir gehen als Menage à Quatre zu einem Haus ganz am Anfang der Partymeile. Kein Schild, alle Fenster abgedunkelt, Tatiana drückt den Klingelknopf. Und tatsächlich, wir drei Jungs kommen gratis rein, Tatiana muss Eintritt bezahlen. Als Dank spendiert sie jedem von uns einen Longdrink und zwei Tequila. Denn Bier sei in Russland „etwas für gewöhnliche Leute“. Statt House laufen hier Musikvideos von russischsprachigen Schlagerpopstars wie Svetlana Loboda (die angeblich seit Mai 2018 mit Rammstein-Frontmann Till Lindemann zusammen eine Tochter hat). In der Blauen Auster, die eine Karaokebar sowie einen Darkroom im 2. Stock hat, ist nicht viel los. Was aber den dritten Mann nach dem zweiten Longdrink nicht davon abhält, sich Hemd und Hose zu entledigen und in fescher Boxershorts einen älteren, dicken Finnen anzutanzen. Jetzt reicht‘s uns toleranten Heten, wir sind raus. Als letztes Getränk unserer Petersburgreise nehmen wir einen Absacker in der Nebar 2.0: zwei gewöhnliche Baltika-Biere für uns zwei gewöhnliche Leute.
Fortsetzung folgt…