Das Band zwischen uns
Seit Stunden steigen wir auf, setzen einen Fuß vor den anderen. Langsam, bloß nicht zu schnell. Die Höhe bremst uns aus, zwingt uns zu Gelassenheit. Um uns herum eine Wüste aus Schnee und Eis, Felsen und Stein. Ich lausche meinem Atem: kurz, schnell, pumpend… Wir sind auf dem Weg nach oben, nach ganz oben. Auf dem Weg zum Gipfel. Wir gemeinsam – das ist wesentlich am Berg. Verbunden, eine Einheit, eine Seilschaft.
Wie selbstverständlich begebe ich mich in diese Gemeinschaft. Vertraue mich und mein Leben den Menschen um mich herum an. Und sie schenken mir gleichermaßen ihres. Das ist etwas Großes, das ist nicht selbstverständlich. Achtsamkeit, nicht nur in Bezug auf sich selbst, sondern auch auf andere… Wir sollten uns auch im Alltag mehr bewusst machen, was es bedeutet, füreinander einzustehen – auch, wenn das Band ein unsichtbares ist. Nicht wegschauen, wenn jemand vom Weg abkommt, sondern anpacken, helfen…
Knapp vier Meter trennen mich von meinen Mitstreitern. Ich starre auf den Rücken vor mir, passe mich dem Rythmus seiner Schritte an. Rechts, links, rechts, links. Ich schaue mich nicht um und spüre dennoch die Verbindung nach hinten. Da ist Jemand, er folgt mir, er achtet auf mich, beobachtet, wohin ich trete. Hält das Eis? In diesem Moment ist da so viel mehr zwischen uns, als zwanzig Meter geflochtenes Polyamid mit einem Durchmesser von einem Zentimeter. Meine Atmung wird ruhiger. Jemand ist da – und das ist schön.
Meine Beziehung ist meine Seilschaft durchs Leben! Geht er vor mir, dann achte ich auf ihn. Ich halte das unsichtbare Seil gespannt, immer bereit, ihn aufzufangen, wenn er fällt. Ich will ihn schützen, will nicht, dass ihm etwas zustößt, will alles Unglück von ihm fern halten. Ob ich es wirklich schaffe, das vermag ich nicht zu sagen – aber ich bin jederzeit bereit, aufzuspringen und zu kämpfen. Und er achtet auf mich. Selbst wenn ich ihn nicht sehe, weiß ich, er ist da. Er steht hinter mir, bereit, mich aufzufangen. Für mich da, wann immer ich ihn brauche. Alleine würde ich so manchen steinigen Weg im Leben nicht überwinden. Würde mich auf dem weiten Feld verirren. Nur gemeinsam in unserem Verbund können wir all das, was das Leben ausmacht, bewältigen. Mit Bravour jeden Berg bezwingen. Um uns dann in die Arme zu nehmen und uns anzustrahlen. Eine Seilschaft ist etwas Kostbares.
Der Weg wird steiler. Wir müssen verkürzen, näher zusammenrücken, suchen den Kontakt, indem wir mehr Seil aufnehmen. Die Anspannung steigt – und gleichzeitig die Vorfreude. Der Gipfel ist nun zum Greifen nah. Wenige Meter trennen uns vom Peak. Jetzt nicht die Konzentration verlieren, nicht straucheln. Ich sinke unerwartet im Schnee ein, unter mir bricht ein Stein weg. Ein Ruck geht durch unsere kleine Gemeinschaft, fängt mich auf, so dass ich mein Gleichgewicht wiederfinde. Alle für einen.
Das Band ist dünn, aber zäh. Doch machen wir uns nichts vor, auch das robustete Seil kann reißen. Nicht jede Seilschaft schafft es bis zum Gipfel. Manche kehren um, verheddern sich im Geflecht von falschen Erwartungen und übertriebenem Ehrgeiz. Auch ein eingespieltes Team kann scheitern. Und genau dann kommt es darauf an… Löst man die Knoten, geht alleine weiter oder kehrt um? Oder aber hält man weiter aneinander fest, ist sich der Verantwortung, die man füreinander übernommen hat, bewusst…
Der Himmel strahlt eisblau vom Himmel. Wir stehen auf dem schmalen Grat zwischen Leben und Abgrund. Wir sind berauscht, wir sind benommen, wir sind frei. Das Band zwischen uns war nie enger. Das hier oben sind WIR. Unsere Seilschaft, etwas Einzigartiges, etwas Besonderes. Wunderschön – und für immer.
Die Bilder entstanden bei unserer Tour auf das Sustenhorn gemeinsam mit der Mammut Apline School.
Einschulung am Sustenhorn |
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