Mach’s noch einmal – Skitouring Tirol Vol.2
Der Morgen beginnt wie der Vortag endete – mit Ächzen und Stöhnen. Ich glaub ich bin zu alt dafür… Meine Beine sehnen sich nach einem Ruhetag. Doch Kumpel Sven und ich sind natürlich nicht nur für Kaffee und Kuchen zur Neuen Bamberger Hütte aufgestiegen. Und Guide Harald scharrt auch schon mit den Hufen bzw. Ski.
Aufstieg zum Kröndlhorn (2.444m)
Das Wetter hat sich auch an diesem Morgen nicht verbessert. Es schneit und die Sicht reicht maximal 50 Meter. Zudem ist es heute deutlich kälter als gestern. Harry ist jedoch gut drauf: „Jungs, seid ihr fit? Ich würde vorschlagen, dass wir heute Folgendes probieren…“ Nach der gemeinsamen Tagesplanung und einem ausgiebigen Frühstück brechen wir auf zum Kröndlhorn. Was uns in etwa erwartet klingt vielversprechend – und etwas beängstigend: Eine mittelschwere Skitour und eher anspruchsvollere Route, die dadurch weniger begangen wird als die übrigen Touren der Gegend. Der Schlussanstieg mit der Querung der Kröndlrinne bildet dabei eine Schlüsselstelle. Hier sollte man sicher gehen können und lawinensichere Verhältnisse abwarten. Die anschließende Steilabfahrt ist nur etwas für sehr geübte Skifahrer…
Harry scheint uns also einiges zuzutrauen. Dass wir einigermaßen Skifahren können, haben wir ihm bereits bewiesen – doch ob unsere Aufstiegskills für die Tour reichen werden? Gestern Nachmittag brannten meine Oberschenkel jedenfalls so gewaltig, wie ich es sonst nur vom Radfahren kenne. Sven ging es ähnlich.
Wenn wir der Wettervorhersage Glauben schenken, könnte Harrys Plan aber aufgehen. Der Schneefall soll zum Mittag aufhören. Sogar Sonnenschein ist möglich. Die Lawinengefahr liegt bei Stufe zwei, das ist schon mal ziemlich gut. Wir packen also unsere Ausrüstung (Schaufel, Sonde, Pieps, Daunenjacke, Kamera, Tee & Müsliriegel), ziehen die Felle auf und stapfen los. Dichtes Schneetreiben umgibt uns, wir sehen eigentlich nichts. Wenigsten haben wir keine Kopfschmerzen – trotz des gestrigen Wein-Gelages. Vielleicht lag es an der „Taktik“ zwischen Rotwein, Bier und Willis noch eine „Kleinigkeit“ zu essen. Und selbst die Beinmuskulatur fühlt sich nach den ersten Schritten soweit ganz in Ordnung an…
Grenzgänger
Wir können unser Glück kaum fassen – die Sicht wird, wie vorhergesagt, mit der Zeit tatsächlich besser. Endlich erkennen wir erste Umrisse der umliegenden Berge und schließlich ist das Gelände komplett zu sehen. Alles glitzert unter der feinen, weißen Neuschneedecke und wir kramen unsere Sonnenbrillen hervor. Was für ein Panorama und was für eine zauberhafte Winterlandschaft. Und dazu diese unglaublichen Schneemengen! Eine nahe Verwehung ist bestimmt zehn Meter hoch. Wenn das Wetter so bleibt, wird es später eine epische Abfahrt geben!
Wir wandern auf der Grenze zwischen Tirol und dem Salzburger Land. Zu unserer rechten ginge es hinab nach Gerlos – dem Gebiet, in dem ich Skifahren gelernt habe. Hinter uns erscheint der Tristkopf, vielleicht ein Hang für den Nachmittag? Jetzt geht es aber erst einmal weiter in die entgegengesetzte Richtung, immer dem Gipfel entgegen. Wir kommen dennoch nur langsam voran. Alle 50 Meter bleiben wir staunend stehen, kramen zum hundertsten mal die Kamera hervor, versuchen einzufangen, was irgendwie geht. Was für eine Landschaft komplett für uns allein.
Stille Momente am Berg
Das Glück hält leider nicht lang an. Einige Höhenmeter später stecken wir wieder in einer dicken Wolke. Genau jetzt kommt der anspruchsvollste Teil der Route. Das Gelände wird immer steiler. Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass wir nicht sehen, in welchem Terrain wir uns bewegen, denn Sven hat genau wie ich Höhenangst. Weit kann es nicht mehr sein, denn vor uns liegt die „geile Rinne“, wie Harry sie nennt. Im Einstieg hat sie ein Gefälle von fast 40°, doch der Schnee hält bombig unter unserem Gewicht.
Einige Spitzkehren und Adrenalinausstöße später sind wir am Ziel. Eine kleine Kapelle am Gipfel des Kröndlhorn, unter den Schneemassen kaum auszumachen. Auch scheint der letzte Besucher die Tür nicht richtig geschlossen zu haben, denn der Eingangsbereich ist bedeckt mit einer dicken Schneeschicht. Beeindruckender als der Fußboden ist jedoch die Decke der Kapelle. Unzählige Gedenkblätter wurden platziert, in Erinnerung an Diejenigen, die in den Bergen geblieben sind. Zu viele! Die Eiskristalle geben dem Szenario eine etwas morbide und zugleich friedliche Wirkung. Wir werden still…
Beim Skitouring ist es wie bei allen Outdoor-Aktivitäten: Die Natur gibt den Ton an. Auch wenn die Lawinengefahr verhältnismäßig gering und die steile Abfahrt durch die Rinne absolut verlockend ist, entscheiden wir uns aufgrund des anhaltenden Nebels für die sicherere Variante entlang unserer Aufstiegsspur. Was wir sehen? Gar nichts. Whiteout at its best. Uns bleibt nichts als der Schneeflug – und das bei diesem tollen Schnee. Skitouring kann auch frustrierend sein. Und auch der Galgenhumor von Sven („Schade, das wäre ihr Hauptgewinn gewesen“) lässt die Stimmung nicht unbedingt ansteigen. Haben wir durch die zahllosen Fotos zu viel Zeit verloren? Wäre die Variante durch die Couloir vielleicht doch die besser Wahl gewesen? Moa, jetzt geht es auch noch bergauf. Aahhhh.
Schlecht gelaunt kehren wir zurück zur Bamberger Hütte. Ein heißer Kaffee ist ein erstes adäquates Gegenmittel. Immerhin haben wir den Gipfel erreicht und das erfüllt uns auch mit ein wenig Stolz. Trotzdem, so sollte ein Tag nicht enden.
Es gibt kein schlechtes Wetter…
… es gibt nur das falsche Gelände! Glücklicherweise haben wir mit Harry den richtigen Mann an unserer Seite. Er kennt das Gebiet so gut wie kaum ein anderer. Und auch er scheint mit Tag noch nicht abgeschlossen zu haben. Während die anderen Alpinisten den Nachmittag bei Kaffee, Kuchen und Kartenspiel in der Hütte bleiben, fellen wir drei erneut die Ski auf und stapfen hinaus ins unendliche Weiß. Harrys Ziel: das Gelände gleich neben der Schutzhütte.
Nach rund 300 Höhenmetern Aufstieg mit gemäßigtem Gefälle und ein wenig Queren befinden wir uns plötzlich und völlig unerwartet im ultimativen Skiers Playground. Der Plan scheint aufzugehen. Harry gibt uns noch einige Anweisungen zum erforderlichen Abstand, zur Richtung, warnt vor einem fünf Meter Drop direkt vor uns und verschwindet dann jauchzend hinter der ersten Kuppe. Sven und ich schauen uns grinsend an. „Auffi“ – und ab geht die Post. Weit auseinander stehende Fichten, kleine Hügel und Mulden kombiniert mit jeder Menge feinstem Pulverschnee lassen unsere Freeride-Herzen höher schlagen. Zwischen den Bäumen ist die Sicht völlig ausreichend um jede Menge Spaß zu haben. „Wohooo! Gleich noch mal rauf.“
Oooyeah, das ist der Grund, warum ich Freetouring so mag. Die Höhenmeter in unseren Beinen und der Frust von eben sind vergessen. Es ist bereist 17:30 Uhr als ich mich endlich aus meinen Skischuhen quäle. Was für ein grandioser Tag! Erschöpft aber glücklich genießen wir einen deutlich ruhigeren Abend als den vorherigen auf der Hütte. Seelig futtern wir ein köstliches Rindsgulasch und schauen uns die Fotos der letzten beiden Tage an. Der ein oder andere gute Shot ist dabei.
Harald hat natürlich auch schon einen Plan für den morgigen Tag: „Wir fahren gleich nach dem Frühstück ins Tal. Das Material schicken wir mit der Seilbahn runter, laden alles ins Auto und fahren dann auf die andere Seite des Bergs. Die ersten 400 Höhenmeter geht es einen schönen breiten Hang rauf, danach sind es noch mal 350 Höhenmeter durch einen Zirbenwald.“ Sein Grinsen verrät uns, dass es anstrengend wird – aber mit Sicherheit auch eine richtig gute Abfahrt.
Mein neuer Happyplace: Der Zirbenwald in Kelchsau
Natürlich werden wir nicht enttäuscht. Im Gegenteil. Die Abfahrt durch den Zirbenwald ist der absolute Wahnsinn und kaum in Worte zu fassen. Selbst Harry, der wirklich viele Tage im Jahr auf Ski steht, ist total begeistert von den Bedingungen. Einen besseren Abschluss der Tage in den Kitzbüheler Alpen hätten wir uns nicht wünschen können!
Jetzt seid ihr dran!
Wer bis zum Hals im Powder stecken will, muss dafür nicht nach Japan oder Alaska fliegen. Vom Wanderparkplatz am Alpengasthof Wegscheid unterhalb der Neuen Bamberger Hütte bis nach München sind es gerade mal 130 Kilometer.
Die Vielzahl der Skitouring-Optionen in den Kitzbüheler Alpen sind wirklich gewaltig. Für mich steht fest: Davon will ich mehr! Also komme ich definitiv noch einmal wieder. Gerne auch erneut zusammen mit „Freeridefriend“ Sven. Und Harry vom Alpincenter Wildschönau wird uns hoffentlich auch wieder begleiten und sicher auf die Gipfel führen. Wenn es nach mir geht darf es dann auch wieder kräftig schneien… Danke Jungs, für die tollen Tage!
Hinweis: Dieser Artikel beruht auf einer Einladung durch den lokalen Tourismusverband. Er spiegelt aber uneingeschränkt die Meinung der Autoren wieder.