Über das Glück des Unverhofften
Auch für ausgefuchste Vielreisende gilt manchmal: Erstens kommt es anders – und zweitens als man denkt. Wer mich kennt, der weiß, dass ich eine Planerin bin. Excel-Sheets und To-Do-Listen sind mein Ding. Ein Programm ist dazu da, um eingehalten zu werden. Ich liebe Pünktlichkeit und finde es furchtbar unangenehm, wenn ich es selbst mal nicht zur verabredeten Zeit schaffe…
Tja, und dann passiert das Leben… Ungeplantes, Unvorhergesehenes, Zufall, Schicksal, Pech… Wie auch immer man es nennen mag! Was ich durch das Reisen inzwischen gelernt habe: Mit etwas mehr Geduld und Besonnenheit tut es gleich nur halb so weh. Henryk ist diesbezüglich bereits ein Profi. Ihn bringt nichts so schnell aus der Ruhe. Ich dagegen, sagen wir mal so, arbeite noch daran. Aber auch ich habe inzwischen verstanden: Es geht nicht immer alles glatt. So auch an einem sonnigen Morgen im Katharerland im Süden Frankreichs…
TUCHAN ODER CUCUGNAN – BEIDES SCHÖN!
Auf dem Programm steht: 9:30 Uhr Tour mit dem E-Bike zur Entdeckung der Zitadellen und Peyrepertuse. Rund drei Stunden sollte die entspannte Runde dauern. Wir freuen uns auf den Vormittag in den Bergen und bereiten uns entsprechend vor:
7:00 Uhr, Aufstehen, Tasche packen, alles schon mal ins Auto laden.
7:30 Uhr, Frühstücksraum – keiner da. Hatten die nicht gesagt, ab halb gäbe es Frühstück?
7:35 Uhr, ok, wir nehmen uns jetzt einfach mal eines der Croissants, die da so rum stehen…
8:00 Uhr, Check Out
8:05 Uhr, Abfahrt nach Tuchan
Die Fahrtzeit ist mit 1 Stunde und 5 Minuten berechnet. Alles entspannt, wir haben ausreichend Puffer…
Die kleine Landstraße, auf der wir unterwegs sind, ist großartig. Eine Serpentine nach der nächsten, noch eine Kuppe und schon wieder ein wunderschöner Ausblick. Rechts eine tiefe Schlucht, links zwischen den Gipfeln erkennen wir schon die erste Ruine einer der vielen alten Burgen und Festungen der Region. “Henryk, nein, wir können nicht schon wieder anhalten, um Fotos zu machen, wir kommen sonst zu spät!”…
Wir fahren vorbei an Cucugnan, einem zauberhaften kleinen Bergdorf – hier werden wir später auch Mittagspause machen. Sehr schön, dann wissen wir jetzt schon mal, wo das ist und es kann später nichts schiefgehen. Nun aber schnell weiter… Als wir dann endlich in dem kleinen Ort Tuchanankommen sind wir noch gut in der Zeit, müssen nur noch den Fahrradverleih finden. Komisch, wieso ist denn der geschlossen? Steht doch im Programm, dass…. Oh no – Treffpunkt war in Cucugnan, nicht in Tuchan. Wir müssen wieder zurück. Und jetzt werden wir zu spät kommen!
Angekommen in Cucugnan: Keiner da! Hey, wir sind nur 20 Minuten zu spät. Und wieso geht eigentlich niemand ans Telefon? Das ist der Moment, in dem ich rote Flecken am Hals bekomme. Haben wir es verbockt oder ist da was anderes schief gelaufen? Das darf doch nicht wahr sein! Wir müssten schon längst unterwegs sein, sonst klappt das alles nicht mehr zeitlich nach hinten raus. Nur Henryk ist die Ruhe selbst, macht schon mal erste Fotos, … es ist aber auch schön hier!
PROBIER’S MAL MIT GEMÜTLICHKEIT…
Rund eine Stunde später. Kein Fahrrad, kein Guide, weiterhin keiner telefonisch erreichbar. Inzwischen haben wir das Dorf einmal komplett abgesucht, zwischendrin auch schon mal die kleine, hübsche Mühle angeschaut. Es ist gleich 12 Uhr. Sollen wir einfach in der Mittags-Location warten? “Lass einfach ne Kleinigkeit snacken”, schlägt Henryk vor. Essen ist eigentlich erst für 13 Uhr geplant. Ich hadere noch mit den missglückten Tagesplänen, lasse mich aber schnell überreden, die hübsche kleine Auberge du Vigneron aufzusuchen.
“Ein Tisch für zwei? Ihr solltet zu Dritt sein, oder?” Die Wunde reißt wieder auf. “Wir wissen auch nicht, irgendwas ist schief gelaufen…” Ein herzliches Lächeln der Kellnerin: “Ist doch alles nicht so schlimm.” Recht hat sie! Wir genießen ein wirklich großartiges Menü auf der Terrasse (die Auberge wurde schon mehrfach für ihre Küche ausgezeichnet, wie wir erfahren) und entspannen. Endlich.
Was wir jetzt mit dem angebrochenen Tag machen? Chateau Quéribus lautet Henryks Vorschlag (hat er auf seinem Handy geortet) – sieht nett aus und ist nicht zu weit weg. “Oui, Oui, très bien”, bekräftigt auch die Köchin des Hauses. Frisch gestärkt und frohen Mutes brechen wir also auf zu einer unerwarteten Wanderung.
HOKUS POKUS QUÉRIBUS
Zwei sonnig-heiße Stunden und kontinuierliches Bergauflaufen später stehen wir am Fuße einer alten Zitadelle. Das Wandern hat mich geerdet. Ich setze einen Fuß vor den anderen und mit jedem Meter, den wir gehen, frage ich mich einmal mehr: Was war denn jetzt eigentlich das Problem? Ok, ich finde es immer ganz furchtbar unhöflich, wenn ich zu spät komme und dann etwas wegen mir nicht klappt. Aber lag es wirklich an unserer leichten Verspätung? Oder hat der Guide etwas falsch verstanden? Werden wir es je erfahren? Macht es einen Unterschied? Ist es nicht vielmehr wunderbar, hier zu laufen. Wie wunderschön ist denn überhaupt diese Landschaft? Ach, herrlich, ich bin glücklich – so, wie es ist…
Das Chateau selbst erinnert mich an eine Harry Potter Burg. Auf einer Felsspitze thront ein altes Gemäuer mit weitem Blick über das Vorland der Pyrenäen. Erhaben, stark, mächtig. Und unglaublich gut erhalten. Verschwitzt wandeln wir durch das kühle Innere der Ruine und nehmen am Ende auch noch ein paar extra Höhenmeter auf uns, um den Blick vom Gipfel auf die Zitadelle zu genießen. Ein schönes Tagesziel für heute.
Als wir uns wieder auf den Rückweg machen sind wir beide happy. Ein toller Ausflug, ein schöner Tag. Vielleicht hätten wir etwas mehr Wasser und Sonnencreme einpacken sollen (Anfängerfehler!), aber ansonsten hätte sich die Landschaft im Department Aude nicht besser präsentieren können. Auch nicht “mit dem E-Bike zur Entdeckung der Zitadellen und Peyrepertuse”…
Später am Tag erfahren wir noch: Der Bike Guide hat sich im Tag vertan und uns für den nächsten erwartet. Dabei ist er extra für uns am Vortag die Runde noch mal abgefahren, um sicherzustellen, dass es zeitlich ausgeht. Welche Ironie! Für uns war es am Ende trotz allem ein großartiger Tag und eine wunderschöne Tour. Und es war (mal wieder) eine Lektion in Sachen Unplanbarkeit und Gelassenheit und zeigt einmal mehr, dass das Unerwartete eben auch das Besondere am Reisen ausmacht. Die E-Bikes schnappen wir uns dann einfach beim nächsten Mal, denn wiederkommen werden wir in jedem Fall. Mit mehr Zeit und mehr Gelassenheit! Ik freu mir!
Hinweis: Dieser Ausflug war ein (ungeplanter) Bestandteil unserer Blogger-Reise durch Südfrankreich im Rahmen der Naturkampagne #FrankreichAktiv. Der Artikel spiegelt jedoch uneingeschränkt die Erlebnisse und Eindrücke der Autoren wieder.
Mehr Informationen: www.de.france.fr/de/frankreich-aktiv