Gasthof zum Hirschen — zwischen den Welten
Der Wind rauscht durch die dunklen Tannenwälder. Eine feine Schicht aus frischem Schnee ziert die Gipfel. Nebelschwaden am frühen Morgen. Es ist Mai und in weiten Teilen Südtirols hat der Frühling schon Einzug gehalten. Jenseits des Gampenjochs, scheint die Zeitrechnung jedoch eine andere. Zwischensaison. Es ist ruhig. Und schön.
Ein Besuch in einer Grenzregion.
Val di Non, das Nonstal, liegt zum Großteil in der Region Trentino. Nur drei kleine Gemeinden im äußersten Norden zählen noch zu Südtirol. Bereits nach wenigen Kilometern auf der Passstraße hinter dem Gampenjoch in südlicher Richtung wird ausschließlich Italienisch gesprochen. Die Kulturen vermischen sich. Und mitten in dieser Zwischenwelt, genauer gesagt in der Gemeinde Unsere liebe Frau im Walde in Deutschnonsberg, liegt das Hotel Gasthof zum Hirschen, ein ehemaliges Pilgerhospiz mit jahrhundertlanger Tradition, das heute mit seiner durchdachten und zeitgemäßen Philosophie eine Brücke zur Neuzeit schlägt. Ein Ort, der viele Geschichten zu erzählen weiß, und bereit ist, neue zu schreiben. Ein Ort der Einkehr und der Gastfreundschaft. Ein außergewöhnlicher Ort.
Von der Pilgerstätte zum architektonischen Kleinod
Den Tipp, unseren nächsten Aufenthalt in Südtirol mit einem Besuch bei den Geschwistern Ingrid und Mirko Mocatti zu verbinden, die das Hotel Gasthof zum Hirschen bereits in dritter Generation führen, bekamen wir von einer guten Freundin aus Berlin. Steffi und ihre Familie lieben Südtirol mindestens so sehr wie wir und in der Vergangenheit hatten sie sich schon das ein oder andere Mal von unseren Südtirol-Tipps inspirieren lassen. Umso gespannter waren wir nun auf Steffis Empfehlung, die gar nicht mehr aufhörte von ihrem Aufenthalt im „Hirschen“ letzten Sommer zu schwärmen.
Schon kurz nach unserer Ankunft können wir bestätigen, Steffi hatte nicht übertrieben! Das moderne, reduzierte Design des Hotels spricht uns sofort an. „Manchmal hilft es auch, Dinge wieder wegzunehmen, anstatt immer mehr und mehr dazu zu geben“, erklärt uns Gastgeber Mirko bei der Begrüßung. Nicht ohne Stolz zeigt er uns eine Foto-Dokumentation des ehemaligen Hospiz und wie sich das Gebäude über die Jahrhunderte verändert hat. Er erklärt uns, dass es ihm wichtig war, den zuletzt eher rustikal anmutenden Gasthof seiner Eltern in ein zeitgemäßes Konzept zu überführen — und dabei den historischen Ort nicht nur zu erhalten, sondern wieder stärker zu fokussieren. Und das ist ihm durchaus gelungen.
Was den Gasthof zum Hirschen aber besonders auszeichnet: Das Haus hat nicht nur viel Stil, sondern auch eine Seele. Edith Kofler, Mutter von Mirko und Ingrid, verkörpert diese Seele wie keine andere. Während Sohn Mirko die Geschicke leitet und Tochter Ingrid in der Küche zaubert, verantwortet Edith den Service, steht vom Frühstück über den Mittagstisch bis zum Dinner am Abend in engem Kontakt mit allen Gästen, serviert, erzählt und schenkt allen Gästen ein Lächeln. Die regionalen und saisonalen Köstlichkeiten, die Edith dabei täglich auftischt, sind geprägt von den kulturellen Einflüssen der Region. Es vermischt sich die klassische Südtiroler Küche mit der kulinarischen Tradition des Trentino und werden in Anspielung auf die Historie der Pilgerstätte ergänzt von Rezepten Hildegard von Bingens sowie Empfehlungen des Kräuterpfarrers Weidinger.
Man muss schon etwas Zeit mitbringen für das fünf Gänge Menü im Cervo Restaurant des Hotels. Aber Ruhe, Zeit und Einkehr sind genau die Komponenten, die das Konzept des Gasthof zum Hirschen wohl am besten zusammenfassen und es gleichermaßen auszeichnen.
Gastgeber Mirko nimmt sich viel Zeit für seine Gäste, um ihnen seine Heimat Deutschnonsberg näher zu bringen. Deshalb nimmt er uns unter anderem mit zu den Höfen des Dorfes, wo das Korn noch selbst gemahlen, das Brot im Holzofen gebacken und der Speck sechs Monate in der Kammer geräuchert wird. Aber natürlich hat das Val di Non auch jede Menge Wanderwege und andere Ausflugsziele zu bieten, die wir uns nicht entgehen lassen.
Das Trentino ist tatsächlich eher Neuland für uns. Und es ist wirklich verrückt, wie man gleich hinter dem Gampenjoch von Südtirol aus kommend spürt, dass sich nicht nur die Kultur und Sprache, sondern auch die Landschaft verändert. Weniger Almwiesen, dafür dichtere Wälder vor dem beeindruckenden Panorama der Brenta Dolomiten. Prägend in der Region ist unter anderem der tiefe Canyon des Rio Sass, den man auch begehen kann, allerdings nur in Begleitung eines erfahrenen Bergführers.
Für Mikkel mit seinen ist die rund 2,5 stündige Tour noch etwas zu ambitioniert, daher haben wir uns darauf beschränkt, einen ersten Eindruck der spektakulären Schlucht am Wasserfall von St. Felix (Cascata di Tret) zu bekommen.
Eine weitere familientaugliche Wanderung führt uns zum Felixer Weiher, ein kleiner, idyllischer See mitten im Wald. Unterwegs begegnet uns niemand — außer einem Reh, das friedlich auf einer Lichtung steht. Ob es hier wohl auch Bären gibt? Gibt es, erzählt uns Mirko später. Insgesamt wird die Population an Braunbären im Trentino auf rund 120 geschätzt. Nur in äußerst seltenen Fällen gibt es Begegnungen mit Menschen, allerdings können diese tatsächlich dann auch gefährlich werden, wenn man sich nicht richtig verhält. Wir fühlen uns allerdings auf allen Wegen sicher, nicht zuletzt weil Mikkel uns unterwegs gerne mit seinem „Gesangstalent“ beglückt und dabei so viel Krach macht, dass jeder Bär schnell das Weite suchen würde.
Einmal Panorama, bitte
Für Kleinkinder weniger geeignet aber dafür wunderschön ist die Wanderung auf den Großen Laugen, der „Hausberg“ von Deutschnonsberg. Die Route selbst ist verhältnismäßig einfach, es bedarf allerdings ein wenig Ausdauer, um die 950 Höhenmeter bis zum Gipfel auf rund 2.400 Metern zu meistern. Und Anfang Mai gibt es zudem noch einige Schneefelder. Henryk entscheidet sich für eine frühmorgendliche Tour und genießt noch vor dem Frühstück das beeindruckende 360 Grad Panorama sowohl auf das Etschtal und Meran als auch die Brenta Gruppe im Trentino.
Tief unter der Erde
Eine unscheinbare Tür im Berg lässt kaum erahnen, was sich dahinter erstreckt. Der Gampenbunker auf dem gleichnamigen Pass ist ein Relikt des 2. Weltkriegs. Mussolini war zwar Verbündeter der Deutschen, jedoch war man sich damals nicht sicher, ob aus Freund nicht schnell auch Feind werden könnte — und so wollte man sich sichern und am Gampenjoch Soldaten stationieren. Der unterirdische Schutzwall wurde nie fertig gestellt. Eine bewegte Geschichte hat er dennoch. Heute gibt es am Wochenende Führungen, regelmäßig wird das unterirdische Bauwerk zudem für kulturelle und kulinarische Veranstaltungen genutzt. Aus genau diesem Grund hat unser Gastgeber Mirko auch einen Schlüssel zum Bunker und wir dadurch die Möglichkeit, einen ganz privaten Blick ins Innere des Berges zu werfen.
Ob wir aufgrund der durchweg niedrigen Temperatur unter der Erde frösteln oder aufgrund der Tatsache, dass dies ein Relikt des Krieges ist, kann ich nicht genau sagen. Aber interessant ist der Blick in die Vergangenheit in jedem Fall.
Bekannte Pfade
Kein Besuch in Südtirol, ohne dass wir Mikkel nicht einen weiteren Lieblingsort von uns vorstellen. Wir fahren auf der wunderschönen Route vom Gampenjoch in Richtung Lana und weiter nach Dorf Tirol. Mit der Seilbahn geht es auf 1.400 Meter hinauf zur Bergstation Hochmuth, unserem Startpunkt auf den Meraner Höhenweg vor rund acht Jahren. Damals waren wir das allererste Mal in Südtirol und durften die Region gleich auf dieser absoluten Highlight-Tour kennenlernen. Nun laufen wir die ersten Kilometer noch einmal zu Dritt — und Mikkel scheint es mindestens so gut zu gefallen wie uns. Vielleicht liegt es weniger am fantastischen Ausblick und dafür mehr an den wilden Ziegen und der Aussicht auf ein Eis auf der Hütte, aber was zählt ist am Ende die gute Zeit, die wir gemeinsam haben.
… und eine gute Zeit war es. Nicht zuletzt dank Mirko, Ingrid und ihrer Mutter Edith. Einen Abstecher in eines der äußersten Eckchen von Südtirol nach Deutschnonsberg hinter das Gampenjoch können wir nur empfehlen. Denn es ist wirklich eine besondere Region mit ihrer kulturellen Vielfalt und diesem fantastischen historischen Kleinod namens Gasthof zum Hirschen.
Wir bedanken uns von Herzen beim Team des Hotels für die Gastfreundschaft und die Einladung (und noch einmal an Steffi für den guten Tipp). Dieser Artikel ist Teil einer Kooperation, beruht jedoch ausschließlich aus eigenen Eindrücken und persönlichen Erfahrungen der Autoren.
Übrigens: Mehr Informationen zu den historischen Herbergen und Wirtshäuser in Südtirol, zu dem auch das Hotel Gasthof zum Hirschen gehört, findet ihr hier.